Berlin. Der französische Präsident spricht nach dem Terror von Paris von Krieg. Wird die Bundeswehr sich an einem solchen Kampf beteiligen?
Bei einem Treffen der EU-Verteidigungsminister in Brüssel hat der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian die EU-Staaten um Hilfe gebeten. Der EU-Vertrag schließt dabei auch militärische Hilfe nicht aus. Neben den EU-Partnern könnte Frankreich sich aber auch auf den Bündnisfall der Nato berufen und noch mehr Unterstützung erhalten.
Angela Merkel hat Frankreich nach den Anschlägen von Paris „jedwede Unterstützung angeboten“. Die Formulierung der Kanzlerin erinnert viele Beobachter an die Aussagen ihres Vorgängers Gerhard Schröder, denen Auslandseinsätze der Bundeswehr folgten. Dieser hatte nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York gesagt, Deutschland werde „an der Seite unseres Bündnispartners und Freundes stehen und auch militärische Mittel akzeptieren, wenn der Bündnisfall (...) eintreten und der Weltsicherheitsrat die rechtlichen Voraussetzungen schaffen würde“. Der Bündnisfall trat ein und die Bundeswehr beteiligte sich am Einsatz gegen die Taliban in Afghanistan.
Wenige Tage nach den Terrorangriffen von Paris mit offiziell 129 Toten mehren sich die Stimmen, die ein stärkeres Vorgehen gegen den sogenannten Islamischen Staat fordern. Für französische Behörden steht fest, dass die Terrormiliz hinter den Anschlägen steckt. Frankreich hat deshalb um die Hilfer der euroäischen Nachbarn gebeten. Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages macht dies möglich. Er verweist auf das Selbstverteidigungsrecht eines Staates, wie es auch in der UN-Charta vorgeschrieben ist. Doch werden sich zur Allianz auch die Nato-Staaten gesellen?
Nato-Vertrag bezieht sich nicht nur auf Staaten als Aggressoren
Der Nordatlantikvertrag der Nato scheint dies möglich zu machen. Im Paragraph 5 heißt es: „Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen werden wird“. Die Staaten hätten nach solch einem Angriff das Recht sich selbst und mit Hilfe von Partnern so zu verteidigen, dass wieder Frieden in den Staaten des Nordatlantik-Bündnisses hergestellt wird. Dies schließt auch den Einsatz von Waffengewalt ein.
Die Nato-Partner müssten den Bündnisfall gegenüber dem UN-Sicherheitsrat anzeigen, wie es in der Charta der Vereinten Nationen heißt. Der Nordatlantikvertrag verweist direkt auf die Charta. Der UN-Sicherheitsrat würde die Pläne der Nato ratifizieren oder aber andere Maßnahmen vorschlagen. Die Rhetorik des französischen Präsidenten François Hollande klingt jedenfalls wie eine Rechtfertigung für einen Krieg, wie sie die USA für den Afghanistan-Einsatz im Jahr 2001 gegenüber der UN lieferten.
Internationale Rhetorik ist auf Krieg gepolt
Hollande spricht von einem „Kriegsakt“, der von außen geplant worden sei. Französische Behörden und Politiker betonten am Montag, dass die Drahtzieher der Anschläge in Syrien sitzen. Auch deutsche Politiker wie Bundespräsident Joachim Gauck werten die Angriffe von Paris als kriegerische Auseinandersetzung. Die Antwort darauf sei ein Kampf an der Seite Frankreichs. Angela Merkel sagte dazu: „Wir werden mit Ihnen gemeinsam den Kampf gegen die führen, die Ihnen so etwas Unfassbares angetan haben.“
Stille um 12 Uhr: So gedachte die Welt der Terroropfer
Die Aussagen aus Frankreich und Deutschland wirken wie konkrete Antworten auf die Fragen, die die Lektüre des Nordatlantikvertrages aufwirft: Gab es einen Angriff von außerhalb? Wäre eine militärische Selbstverteidigung Frankreichs auch vom UN-Sicherheitsrat um Russland, die USA, China und das Vereinigte Königreich gedeckt? Die USA, Frankreich und Russland sind bereits in Syrien aktiv. Zudem sind alle Nato-Mitglieder Teil einer „Globalen Koalition“ gegen den IS, wie das nordatlantische Militärbündnis es selbst nennt.
Nato-Chef Stoltenberg für Besonnenheit?
Damit der Bündnisfall greift, müsste Frankreich eine Sitzung aller Nato-Mitglieder einberufen. Bei dem Treffen bedarf es einer Zustimmung aller dazu, dass der Paragraf 5 des Nordatlantikvertrages gilt. Bisher habe Frankreich jedoch solch eine Sitzung nicht beantragt, wie ein Nato-Mitarbeiter unserer Redaktion mitteilte. „Wir unterstützen die französischen Behörden in ihrer Entschlossenheit, mit der terroristischen Bedrohung umzugehen“, sagte er weiter. Eine Stellungnahme des Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg scheint vorschnelle militärische Aktionen jedoch erst einmal auszuschließen. Er schrieb auf Twitter: „Terrorismus wird niemals die Demokratie besiegen“. Das liest sich wie ein Plädoyer für eine besonnene diplomatische Vorgehensweise.
Aus dem Nato-Hauptquartier ist zudem immer wieder zu hören, dass es den Bündnisfall überhaupt erst einmal gegeben hat: nach dem 11. September 2001. Das Bündnis betont die Einzigartigkeit dieses Falls und verweist darauf, dass auch nach Anschlägen in London und Madrid in den vergangenen Jahren der Bündnisfall nicht ausgerufen wurde.
Und in der Talkshow „Günther Jauch“ sprach sich auch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen dagegen aus, den Bündnisfall herbeizuführen. Das Wort „Krieg“ verstehe sie zwar aus Sicht der Franzosen, wolle sich aber lieber raushalten.