Paris. François Hollande hat zwei Gesichter: Was er kann, zeigt er dann, wenn die Lage kritisch ist. Sonst vermissen Franzosen das oft an ihm.
Er ist ein Mann für die dramatischen Stunden. In Krisensituationen wächst François Hollande über sich hinaus. Frankreichs Präsident, der im politischen Alltagsgeschäft allzu oft wirkt, als sei das Gewand des Staatsoberhaupts zu groß für ihn, hat es in dem Chaos nach den schwersten Anschlägen in der Geschichte der V. Republik verstanden, seinen traumatisierten Landsleuten ein Rückhalt zu sein.
Die blutige Geiselnahme im Pariser Konzertsaal Bataclan war noch gar nicht beendet, als sich Hollande am späten Freitagabend zum ersten Mal in einer Fernsehansprache zu Wort meldete und genau den richtigen Ton traf. Ohne seine Erschütterung zu verbergen kündigte er den Verantwortlichen „dieser Barbarei“ gnadenlose Verfolgung an und demonstrierte durch seine geradlinige Haltung, dass der Staat dem Terror keinen Quadratzentimeter Boden preiszugeben gedenke.
Hollande wandte sich in den folgenden Stunden noch zweimal an die Franzosen. Am frühen Samstagmorgen mitten aus dem Konzertsaal Bataclan, wo zu diesem Zeitpunkt noch die Opfer des fürchterlichen Massakers geborgen wurden, sprach er deren Angehörigen sein Mitgefühl aus und rief gleichzeitig dazu auf, Einheit und Ruhe zu bewahren. Nach einer zweiten Krisensitzung im Elysée-Palast dann, als er Samstagvormittag die Attentatsserie als einen kriegerischen Akt des Islamischen Staats verurteilte und damit dem Feind beim Namen nannte.
Frankreichs Staatspräsident hat zwei Gesichter. Da ist einerseits der joviale und konfliktscheue Zauderer, der die eigenen Landsleute und die europäischen Partner mit seiner halbherzigen Reformpolitik beinahe zur Verzweiflung treibt. Und da ist der rasch entscheidende Krisenmanager, der die Bedenkenträger mit eiserner Entschlossenheit, ja mit Kaltblütigkeit verblüfft. Das war so, als islamistische Rebellen zum Sturm auf Malis Hauptstadt Bamako ansetzten und er über Nacht einen Alleingang französischer Interventionstruppen anordnete. Und das war so an diesem Wochenende, wo er noch in der Nacht auf Samstag den Ausnahmezustand verhängen ließ.
Keine Beschönigung, keine Dramatisierung
Niemand kann Hollande, der französische Soldaten in den Kampf gegen die Dschihadisten in der Sahelzone, im Irak und in Syrien warf, mangelnde Härte gegenüber dem Islamistenterror vorwerfen. Schon deswegen kann es sich der Präsident heute wie nach der Anschlagsserie im Januar leisten, auf eine Beschönigung oder Dramatisierung der Bedrohungslage zu verzichten. Hollande konzentriert sich auf eines: Er vermittelt den Eindruck, dass der Staat die Situation zu meistern vermag und dass er persönlich Ruhe und Besonnenheit bewahrt.
Tatsächlich scheint es dem Präsidenten in diesen Tagen erneut zu gelingen, in einer Ausnahmesituation durch sein bestimmtes Auftreten die Standhaftigkeit und die Einheit der Nation zu verkörpern. Drei Tage Staatstrauer hat er angeordnet, der Ausnahmezustand gilt zunächst für zwölf Tage und soll verlängert werden. Am Sonntag empfing er die Repräsentanten aller politischen Parteien zu Vier-Augen-Gesprächen im Elysée-Palast.
Am Montag Rede vor Senat und Nationalversammlung
Zudem berief der Staatschef in einer bisher nie da gewesenen Initiative für diesen Montag den Kongress ein, der von Senat und Nationalversammlung gemeinsam gebildet wird und eigentlich nur zu Verfassungsänderungen zusammentritt. Das gibt ihm die Möglichkeit, sich im Schloss von Versailles an alle Abgeordneten zu wenden, was ihm ansonsten das Grundgesetz untersagen würde.
Keine Frage, der Präsident will das Eisen der nationalen Einheitsfront gegen den Terror schüren, solange es heiß ist. Dabei haben die Jagd nach den Attentätern und die Verhinderung weiterer Anschläge, die befürchtet werden, natürlich Vorrang. Doch es könnte auch darum gehen, die Franzosen auf eine militärische Bodenoffensive gegen den Islamischen Staat einzustimmen. Diese allein durchzuführen, wäre die Mittelmacht Frankreich zwar nicht in der Lage. Doch wenn, worauf einiges hindeutet, Paris die westliche Welt in den kommenden Wochen von der Notwendigkeit eines solchen Eingreifens zu überzeugen versucht, will Hollande sein Land geschlossen hinter ihm wissen.