Oberhausen. . Reinhard Gerlach hat Mörder gejagt, Spuren gesucht, Verdächtige verhört. Er macht sich Sorgen um seinen Berufsstand: Die klassische Kripo sterbe aus
Reinhard Gerlach (58) hat 40 Kripo-Jahre auf den Schultern und in dieser Zeit nur dreimal Uniform getragen. Er ist einer von denen, die wir aus dem Fernsehen zu kennen glauben, ein „Ballauf“ oder „Batic“ in echt. Hat Mörder gejagt, Verdächtige vernommen, Projektile aus Wänden gepult, Haut, Haare, Körperflüssigkeiten untersuchen lassen und Tatorte fotografiert. Erster Hauptkommissar ist er, in Oberhausen. Und er glaubt, dass sein Berufsstand – der Kriminalpolizist – gerade leidet.
„Es gibt immer weniger Kollegen, die das von Grund auf gelernt haben“, sagt Gerlach. Und junge Menschen, die sich zur Kripo berufen fühlen, würden von der NRW-Polizeiausbildung abgeschreckt. Denn zunächst wird hier jeder zum Schutzpolizisten ausgebildet.“Ressourcenvergeudung“ nennt Gerlach das. Das Handwerk der Kripo, bewährte Techniken, vielleicht der Fahnder-Instinkt, die blieben dabei auf der Strecke.
Kind in kochendes Wasser getaucht
Gerlach erinnert sich: „Da wird ein Baby mit heißem Wasser verbrüht. Sieht aus wie ein Unfall. Sie reden mit den Eltern, sie schauen sich die Wohnung an. Und dann merken sie, da stimmt was nicht.“ Und so fängt er an, den Unfall zu simulieren. Wieder und wieder mit einer Puppe und heißem Wasser. Sie machen es so, wie der Vater des Babys es ihnen beschrieben hatte. Am Ende kommt heraus: Das Baby wurde absichtlich verbrüht.
„Kriminalpolizisten müssen auch Tüftler sein, müssen experimentieren. Man braucht Leidenschaft dafür – und Biss“, sagt Gerlach. Nicht jeder sei dafür geeignet, und je früher einer diesen Job kennenlerne, desto besser. Dann sucht er nach einem Einbruch vielleicht nicht nur nach Fingerabdrücken, sondern auch nach einem Ohrabdruck, den der Einbrecher an der Tür hinterlassen haben könnte.
Die sogenannte „Y-Ausbildung“, bei der Schutz- und Kriminalpolizisten gesondert ausgebildet werden, wird in Berlin, Hamburg, Hessen und Schleswig-Holstein angeboten. In Berlin wurden in diesem Jahr 153 Schutz- und 60 Kriminalpolizisten eingestellt. In Hessen begannen 251 Studenten eine Laufbahn als Schutzpolizisten, 23 Studierende als Kriminalpolizisten. In Hamburg wurden 47 neue Beamte bei der Schutz- und 25 bei der Kriminalpolizei eingestellt, darunter zwei Bewerber aus NRW. In Schleswig-Holstein nahmen 50 angehende Kriminalpolizisten sowie 210 Wasser- und Schutzpolizisten ihre Ausbildung auf.
Stephan Hegger von der Gewerkschaft der Polizei (GdP) hält nichts von der Forderung nach getrennter Ausbildung von Schutz- und Kripobeamten. „Das bringt die Polizei nicht weiter“, sagt er. Die Idee sei ideologisch motiviert und habe mit der Realität nichts zu tun. Polizist sei in seinen Augen ein „ganzheitlicher Beruf“. Er zieht den Vergleich zum Arzt. Der werde auch zuerst allgemein ausgebildet, bevor er sich spezialisiere. Bereits im Polizeistudium werden Kriminologie-Grundkenntnisse gelehrt.
Kritik von Ausbildern und der GdP
Das Argument, die Kripo erhalte keine jungen Beamten mehr, lässt Hegger nicht gelten. Die Polizei sei insgesamt überaltert. Außerdem brauche es gerade für die Arbeit bei der Kripo Lebenserfahrung. Was die Aufklärungsquote bei Straftaten angehe, sei die Ausbildung nur ein Faktor von vielen. „Die Quote wird dadurch nicht höher.“ Alleine eine Personalverstärkung helfe. Er nennt ein Beispiel: „Wenn ein Polizist 80 Wohnungseinbrüche hat, kann er die nicht mehr bearbeiten, sondern nur noch verwalten.“ Was durch die „Y-Ausbildung“ jedoch wegfalle, sei die Flexibilität.
Auch Victor Ocansey vom Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten ist von der Ausbildung überzeugt: „Jeder Polizist im Wachdienst kann auch Spuren sichern.“ Wer bei der Kripo anfange, komme nicht in eine „völlig neue Welt.“ Zu Beginn werde jedem ein erfahrener Ermittler zur Seite gestellt.
Ob das reicht? Reinhard Gerlach zweifelt. Diese Arbeit sei extrem anspruchsvoll. „Im wahren Leben werden unglaublichere Verbrechen begangen als im Film.“