Essen. . Viele befürchten, Flüchtlinge hier wollten sich nicht integrieren. Ein Syrer und ein Forscher sehen da kaum die Probleme: “Sie sind hoch motiviert“.

Es war eine harte Zeit. Viele Monate hatte Abdulhamid Al Jasem immer wieder Sehnsucht nach seiner Heimat. Er wollte aufgeben und zurückreisen. Damals, vor 25 Jahren in Bochum. Doch er war der einzige unter zwölf Geschwistern seiner Familie aus dem syrischen Aleppo, der im Ausland studieren konnte. Al Jasem konnte sich nicht dem Heimweh beugen. Dass der heute 45-jährige Syrer später gar hier heiratete, eine Familie gründete und sich als Physiotherapeut selbstständig machte - "es lag an vielen Deutschen".

Bereits fast 580.000 Flüchtlinge haben in diesem Jahr in Deutschland einen Asylantrag gestellt, zeigen die jüngsten Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge. Viele kommen aus dem Bürgerkrieg und wollen, ja müssen irgendwie hier Fuß fassen. Wieviele wirklich auf Dauer bleiben werden, wie Abdulhamid Al Jasem, wird sich zeigen. Alleine fast 200.000 syrischen Landsleute, versuchen jetzt - Stand Ende September - den Neustart in Deutschland. Al Jasem hat am eigenen Leib erfahren, was ihnen nun helfen würde.

"Ich glaube, sie haben es heute leichter als ich damals", sagt Al Jasem. Weil sich viele Menschen in Deutschland um Flüchtlinge kümmern, von ihrer Ankunft an. Das Land NRW hat jüngst zum Beispiel eine Online-Plattform gestartet: www.ich-helfe.nrw will Menschen, die sich für Flüchtlinge engagieren wollen, Organisationen, Institutionen und Initiativen vermitteln, die Unterstützer suchen.

"Flüchtlinge haben den Willen, sich zu integrieren"

Al Jasem hat vor vier Jahren den Deutsch-Syrischen Verein in Darmstadt mit ins Leben gerufen. Auch er engagiert sich nun in der Flüchtlingshilfe. Und der 45-Jährige ist stolz auf die Willkommenskultur, die ihm hier begegnet. Al Jasem jedenfalls hatte 1990 in Deutschland erst Fuß gefasst, als er nach Münster wechselte und dort in einer WG unterkam mit 14 deutschen Mitbewohnern. "Sie haben mir sehr geholfen, bei Behördengängen und dabei, Deutsch zu lernen". Münster, sagt Al Jasem mit tiefer Wärme in der Stimme, "ist meine Heimatstadt in Deutschland". Und das, obwohl er damals nur neun Monate lang, für einen Deutschkurs, in Münster war.

Abdulhamid Al Jasem ist auch heute noch vielen Deutschen dankbar, dass sie ihm halfen, hier heimisch zu werden. (Foto: privat)
Abdulhamid Al Jasem ist auch heute noch vielen Deutschen dankbar, dass sie ihm halfen, hier heimisch zu werden. (Foto: privat)

Wer heute Kanzlerin Angela Merkel vorhält, sie verbreite mit ihrem "Wir schaffen das" ein Mantra, das die Realität verkennt, trägt womöglich mit dazu bei, es zur "Selbsterfüllenden Prophezeiung" werden zu lassen: Die Intergration so vieler Flüchtlinge kann nicht gelingen? Dann wird sie scheitern... Für die Integration der Flüchtlinge sind alleine die Flüchtlinge selbst verantwortlich? Zu großen Teilen sicherlich, aber nicht alleine. Und wieso muss man bereits jetzt davon ausgehen, sie wollten es gar nicht oder würden sich dagegen wehren?

“Wer eine Flucht aus einem Bürgerkriegsland auf sich nimmt, ist zumeist hoch motiviert. Eine Arbeit finden, Geld verdienen, die Familie durchbringen: Flüchtlinge haben den Willen sich zu integrieren", sagt Anselm Rink, Migrationsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Für Rink hängt dabei vieles von den hiesigen Gegebenheiten ab: "Die Integrationsleistung liegt de facto auf Seiten des Ziellandes. Deutschland muss sich also fragen: wie anpassungsfähig und flexibel sind der Arbeitsmarkt, die Schulen und Ämter."

"Sie suchen den Kontakt zu Deutschen"

Da läuft einiges an. Die Arbeitsagentur in Düsseldorf etwa hat seit einigen Wochen den bundesweit ersten "Integration Point" eröffnet. Dort will man arbeitssuchenden Flüchtlinge - ungewohnt unbürokratisch - Jobperspektiven vermitteln, selbst wenn ihnen sonst notwendige Dokumente fehlen oder zum Beispiel nur als Handyfoto vorliegen. Der WDR und andere Sender haben spezielle Radioangebote für Flüchtlinge initiiert. Der Nachrichten-Sender ntv versucht unter dem Titel "Marhaba - Ankommen in Deutschland" arabischen Flüchtlingen Deutschland nahe zu bringen - in arabischer Sprache. Bisher veröffentlicht sind drei Teile: "So ticken die Deutschen", "Das Grundgesetz und die Scharia" und "Freiheit als Frau".

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ntv-Moderator Constantin Schreiber, der fließend Arabisch spricht und durch die Beiträge führt, sagt, "man muss die Menschen direkt ansprechen". Natürlich müssten sie so rasch es gehe Deutsch lernen. Aber bis man sich mit ihnen auf Deutsch austauschen könne, "braucht es Zeit". Man sollte sie vorher erreichen. Auch Abdulhamid Al Jasem sieht in der Sprache den Schlüssel zur Integration: "Ich rate allen, lernt möglichst schnell Deutsch". Doch das, meint Al Jasem, sei für viele Flüchtlinge, die er kennen gelernt habe, selbstverständlich. "Sie wollen schnell hier Arbeit finden und sie sind neugierig und suchen den Kontakt zu Deutschen".

Abschottung ist da kontraproduktiv, sagt Migrationsforscher Anselm Rink. Auch "Benimmregeln", mit denen jüngst die Odenwald-Gemeinde Hardheim bundesweit in die Schlagzeilen gekommen ist, "treffen nicht den Kern des Problems", sagt Rink. Die Gemeinde hat einen "Leitfaden" verbreitet, der den im Ort einquartierten Flüchtlingen unter anderem erklärt, "unsere Notdurf verrichten wir ausschließlich auf Toiletten". Als ob es die in Syrien zum Beispiel nicht gebe...

Viele Menschen setzen Araber mit Muslimen gleich - das ist ein Fehler

"Kulturelle Unterschiede lassen sich nicht per Benimmregeln nivellieren. Außerdem implizieren sie, dass dort Menschen kommen, die sich nicht benehmen können. Das Gegenteil ist der Fall", sagt Anselm Rink. Abdulhamid Al Jasem hat sogar Verständnis für die Gemeinde: "Das ist wohl auch Ausdruck von Ängsten, die Leute dort haben". Er selbst musste sich, als er neu war in Deutschland, vor allem an die große Bedeutung von Regeln und Pünktlichkeit gewöhnen. "In der orientalischen Mentalität nimmt man das nicht so eng". Al Jasem hat sich längst an die deutsche Pünktlichkeit angepasst. Und er stoße dabei nach wie vor auf Vorurteile. Sein deutscher Schwiegervaters "hält mir stets vor, ich sei eben anders". Al Jasem weist das zurück: "Ich bin wie die anderen".

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Auch die angeblich tiefe Religiosität vieler arabischer Flüchtlinge löst in Deutschland Vorurteile aus. "Viele Menschen setzen Araber mit Muslimen gleich, dabei gibt es insbesondere in Syrien, im Libanon und in Ägypten eine große Zahl an Christen. Und viele Muslime sind auch weniger religiös, als wir das erwarten", sagt dazu ntv-Moderator Constantin Schreiber, der selbst in arabischen Ländern gelebt hat. Und Forscher Anselm Rink ergänzt: "Dass Religionen nicht zueinander passen, etwa Muslime und Christen, wird oft kolportiert. Zahlreiche Umfragen belegen aber das Gegenteil: Religionen eint weit mehr als sie trennt. Noch dazu sollte man nicht vergessen, dass etliche Konflikte in der Welt zwischen religiös homogenen Gruppen entstehen, man denke an Ruanda oder Syrien."

Lernt die hiesigen Regeln und akzeptiert die hiesigen Werte, so hat es jüngst auch NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft von Flüchtlingen gefordert. Vielleicht sollte das eher dazu dienen, in Wallung geratenen Gemüter in der Bevölkerung zu besänftigen, wenn Kraft erklärte: "Wir werden unsere Werte durchsetzen". Abdulhamid Al Jasem jedenfalls hatte damit nie Probleme. Und was Menschen aus Syrien angeht, sieht er die "sehr große Chance, dass sie sich hier integrieren". Schon, weil sie "dankbar sind, dass sie hier aufgenommen werden".

Freilich: Vieles hängt davon ab, ob Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt Perspektiven haben, das macht auch al Jasem Sorgen. Wichtig aber sei daneben, die Menschen nicht sich selbst zu überlassen, sagt al Jasem. Das lässt sich wissenschaftlich untermauern, berichtet Anselm Rink: "Die Forschung lehrt, dass Spannungen am besten durch ehrlichen Kontakt zwischen Gruppen abgebaut werden können." Willkommensfeiern seien allemal besser als Benimmregeln.