Berlin.. Die stürmische Weltlage fordert Deutschland heraus – und damit auch die Bundeswehr. Verteidigungsministerin von der Leyen (CDU) im Exklusivinterview.
Die stürmische Weltlage fordert Deutschland heraus – und damit auch die Bundeswehr. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im Gespräch mit Jochen Gaugele, Thomas Kloss, Alexander Kohnen und Jörg Quoos beim Besuch der Berliner Zentralredaktion der Funke Mediengruppe in Berlin.
Jeden Tag kommen Flüchtlinge zu Tausenden nach Deutschland, und Angela Merkel sagt: „Wir schaffen das.“ Was tut die Bundeswehr, um das Versprechen der Kanzlerin einzulösen?
Ursula von der Leyen: Für die Bundeswehr ist es in dieser akuten Situation selbstverständlich, wo immer möglich mit anzupacken und mitzuhelfen. Inzwischen haben wir 23 000 Unterbringungsplätze geschaffen an über 60 Standorten. Die Bundeswehr stellt auch Busse und mobile Röntgengeräte bereit. Und beim Bundesamt für Flüchtlinge und Migration werden schon bald bis zu 1000 Kräfte der Bundeswehr unterstützen, dass Asylverfahren schneller abgeschlossen werden können.
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Bei der Oderflut hat die Bundeswehr als Wehrpflichtarmee eine Jahrhundertleistung vollbracht. Gelingt ihr das als Freiwilligenarmee in der Flüchtlingskrise auch?
Von der Leyen: Ob Freiwilligenarmee oder Wehrpflichtarmee, das ändert nichts an Auftrag und Einsatzwille der Truppe. Sieben Tage die Woche stehen bundesweit 4000 Soldaten in Rufbereitschaft, von denen jeden Tag bis zu 1300 abgerufen wurden, wo auch immer Länder gerade Hilfskräfte brauchten. Dieses Angebot gilt weiter. Im niedersächsischen Landkreis Soltau-Fallingbostel bereiten wir ein großes Camp für mehrere tausend Flüchtlinge vor. Die Flüchtlingskrise fordert uns sehr, aber die Soldatinnen und Soldaten machen das mit vollem Einsatz.
In Ungarn steht das Militär an der Grenze und wehrt Flüchtlinge ab. Ist es ausgeschlossen, dass wir solche Szenen auch in Deutschland erleben?
Von der Leyen: Wir müssen uns ganz klar innerhalb der deutschen Verfassung bewegen: Hoheitliche Aufgaben an der Grenze macht die Bundespolizei. Soldaten können logistische Unterstützung leisten – etwa in der Wartezone im bayerischen Feldkirchen, wo gerade angekommene Flüchtlinge registriert und auf das Bundesgebiet verteilt werden.
Kann Deutschland zu einem besseren Schutz der europäischen Außengrenzen beitragen? Oder müssen Sie selbsternannten Grenzschutzkapitänen wie dem ungarischen Ministerpräsidenten Orban vertrauen?
Von der Leyen: Die Sicherung der Außengrenzen ist eine europäische Gemeinschaftsleistung, die weiter verbessert werden soll. Darüber beraten die EU-Innenminister. Gut ist, dass der erste Schritt getan ist, um vorgelagerte Aufnahmezentren – sogenannte Hotspots – in Griechenland, Italien und Bulgarien zu schaffen. Die Bundeswehr hat dabei keine Rolle.
Wie bewerten Sie den Schulterschluss des bayerischen Ministerpräsidenten Seehofer mit Orban gegen die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Merkel?
Von der Leyen: Ich halte die Grundentscheidung der Kanzlerin für absolut richtig: Wir müssen erst einmal alle, die als Schutzsuchende nach Europa kommen, menschenwürdig behandeln. Wer einen echten Asylgrund hat, muss Schutz finden.
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Das sind wir unseren gemeinsamen europäischen Grundwerten schuldig. Wer nicht bei uns bleiben darf, muss auch wieder gehen. Und wer bleibt, muss sich selbstverständlich an unsere Regeln halten.
Die Bundeswehr soll im Mittelmeer gegen Schlepperbanden vorgehen. Bekämpft man organisierte Kriminalität nicht wirkungsvoller mit der Polizei?
Von der Leyen: Unsere Mission hat mehrere Aspekte: Der wichtigste ist die Seenotrettung. Die Marine hat bisher rund 8000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet. Der zweite Aspekt, der jetzt dazukommt, ist die verstärkte Aufklärung und Bekämpfung von Schlepperbanden. Bei dieser EU-Mission sind Fähigkeiten unserer Marineschiffe von Nutzen.
Viele Menschen, die Deutschland erreichen, fliehen vor der Terrormiliz IS. Kann die Bundeswehr zur Beruhigung der Lage in Syrien beitragen?
Von der Leyen: Parallel zur Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland und der Bekämpfung der Schleuserkriminalität müssen wir natürlich an die Fluchtursachen heranzugehen. Eine ist das Wüten des IS. Die Bundeswehr übernimmt seit einem Jahr Verantwortung für den Nordirak. Es hat sich bewährt, die Peschmerga auszubilden und auszurüsten. Die kurdischen Kämpfer haben es geschafft, den IS zurückzuschlagen. Sie schützen 1,5 Millionen Flüchtlinge auf ihrem Gebiet, darunter viele Jesiden und Christen. Das ist eine Erfolgsgeschichte. Ich bin der festen Überzeugung: Nur aus der Region heraus ist ein nachhaltiger Kampf gegen den IS möglich.
Wie ordnen Sie es ein, dass sich Kanzlerin Merkel jetzt für direkte Gespräche mit dem syrischen Diktator Assad ausspricht, der Giftgas gegen sein eigenes Volk eingesetzt hat?
Von der Leyen: Assad kann nicht Teil einer langfristigen Lösung sein. Aber wenn wir in dieser akuten Situation das Toben des Bürgerkrieges im Irak und vor allem in Syrien eindämmen und beenden wollen, dann muss sich die Weltgemeinschaft mit all den unterschiedlichen Kräften zusammensetzen, die den Krieg von außen und innen befeuern oder mäßigend wirken können.
"Wir brauchen alle, um wieder Frieden in der Region zu schaffen"
Wer soll noch alles an Gesprächen beteiligt werden?
Von der Leyen: Eine dauerhafte Lösung gibt es nur mit den Mächten, die Einfluss in der Region haben. Dazu zählen sicher die Türkei und Saudi-Arabien, aber auch Russland und der Iran. Diese Länder haben ganz unterschiedliche Interessen. Was sie eint, ist der feste Wille, den islamischen Staat zu bekämpfen. Wir müssen zunächst einen Minimalkonsens herstellen zwischen diesen Ländern, der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika, wen wir unterstützen und wen wir bekämpfen wollen. In Syrien haben wir derzeit eine völlig unübersichtliche Situation mit Hunderten verfeindeten Milizen – auch als Folge der jahrelangen Einflüsse von außen.
Russland schafft Fakten und baut eine Militärbasis in Syrien auf. Ist Ihnen klar, was Putin vorhat?
Von der Leyen: Die russische Präsenz in dieser Region ist nicht neu. Und Moskau weiß, dass mit einer unbedingten Unterstützung des Assad-Regimes alleine keine Lösung zu erreichen ist. Wenn Russland sich am Kampf gegen den IS beteiligen und seinen Einfluss in eine Suche nach einer dauerhaften Lösung einbringen will, halte ich das für positiv. Wir brauchen alle, um wieder Frieden in der Region zu schaffen.
Konkret: Welche Rolle kann Deutschland spielen?
Von der Leyen: Zunächst einmal werden wir die Unterstützung der Peschmerga fortsetzen. Die kurdischen Kämpfer sind unverzichtbar für die Stabilisierung des Nordirak. Wir führen Gespräche mit dem Ziel, auch der irakischen Zentralregierung in Bagdad mehr zu helfen. Sanitätsmaterial, ABC-Masken oder Schutzwesten hat Deutschland bereits an Bagdad geliefert.
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Aber ich betone: Das wichtigste ist jetzt der diplomatische Prozess. Die Weltgemeinschaft muss einen Minimalkonsens erzielen, wie sie den IS in der Levante bekämpfen will. Über alle weiteren Schritte kann man diskutieren, wenn dies auf den Weg gebracht ist.
Aus Afghanistan droht die nächste Flüchtlingswelle. Ist es zu verantworten, dass die Bundeswehr wie geplant abzieht?
Von der Leyen: Die Afghanen übernehmen Schritt für Schritt die Verantwortung für die eigene Sicherheit. Die Nato hat beschlossen, dass sie im Herbst noch einmal analysiert, inwieweit die Regierung in Kabul die Situation im Land beherrscht. Davon hängt es ab, ob die Verbündeten länger in Afghanistan bleiben müssen oder nicht. Wir entscheiden das gemeinsam, nicht nach starren Zeitplänen, sondern abhängig von der Lage. Ich sehe ein wachsendes Bewusstsein dafür, dass der Abzug aus Afghanistan mit Besonnenheit und Außenmaß gestaltet werden muss. Andere Beispiele, insbesondere der Irak, haben uns gezeigt, was passieren kann, wenn der Truppenabzug zu früh erfolgt.
Reicht der Verteidigungsetat für die alten und neuen Aufgaben der Bundeswehr aus?
Von der Leyen: Die Wirklichkeit schreibt uns ins Stammbuch, das die Bundeswehr vorbereitet sein muss auf eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Krisen, die parallel auftauchen können. Ich nenne nur die Stichworte Flüchtlinge, Irak und Ebola. Zugleich hat die Landes- und Bündnisverteidigung wegen der Ukraine-Krise wieder einen größeren Stellenwert bekommen. Das stellt die Bundeswehr vor erhebliche Herausforderungen. Nach vielen Jahren des Schrumpfungsprozesses in relativ ruhigen Zeiten müssen wir die Bundeswehr Schritt für Schritt modernisieren und flexibilisieren. Es ist dringend notwendig, die Verteidigungsausgaben nachhaltig zu steigern – und nicht in einen Zickzackkurs zu fallen von Aufwachsen und Kürzen. Ich bin dankbar, dass wir eine Trendwende hingekriegt und den Wehretat auf 1,17 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesteigert haben. Aber die nötigen Investitionen, sowohl für Personal als auch Material, sind nicht in einem Jahr getan.