Damaskus. Während Russland randvoll beladene Kriegsschiffe schickt, sind die USA in Syrien kaum noch präsent. Das dürfte auch für den Westen Folgen haben.
Entlarvender hätten die Gegensätze kaum sein können. Während randvoll beladene Kriegsschiffe aus Moskau den Bosporus Richtung Syrien durchqueren und Satellitenfotos von modernsten russischen Kampfjets auf dem Rollfeld von Latakia zirkulieren, schickten die USA dieser Tage den zweiten Trupp ihrer frisch trainierten Syrer-Rebellen über die Grenze, 75 Freiwillige in Jeeps mit leichten Waffen. Die erste Gruppe vor acht Wochen wurde bereits nach wenigen Stunden von Dschihadisten aufgerieben, auch weil ihre Kämpfer zunächst mit ihren Familien Wiedersehen feiern wollten.
Nicht zuletzt solche Details belegen, der Westen ist bei der syrischen Tragödie nur noch an der Peripherie präsent. Die Europäer wissen, dass sie spätestens im kommenden Jahr eine neuerliche Massenflucht aus Syrien nicht mehr bewältigen können. Und die Vereinigten Staaten werden sich bis zum Ende der Amtszeit von Barack Obama in 16 Monaten strikt weigern, vor Ort mit eigenen Bodentruppen einzugreifen.
Umso entschlossener agiert in diesen Wochen ihr gemeinsamer Widersacher Wladimir Putin, der auf diese Weise hofft, die westliche Aufmerksamkeit von der schwelenden Ukrainekrise abzulenken. Er bringt eigene Truppen und modernste Waffen in Stellung, verhandelt mit eingeschworenen Assad-Gegnern wie Saudi-Arabien und koordiniert sich mit Israel. Denn das Geschehen in Syrien verteilt sich mittlerweile politisch wie territorial auf zwei Schauplätze.
Zum einen geht es um die Zukunft und das künftige Machtarrangement in einem Restsyrien entlang der Küste, in dem immerhin noch die Hälfte der verbliebenen syrischen Bevölkerung lebt. Zum anderen geht es um die Expansion des „Islamischen Kalifates“ sowie das Vorrücken der radikalen Al-Nusra-Front in Nord- und Ostsyrien, deren Gotteskrieger unter allen Umständen und bis zur Eroberung von Damaskus weiterkämpfen wollen.
Putin winkt daher mit einer doppelten Offerte. Zuerst eine nationale Übergangsregierung für das Post-Assad-Syrien mit einer – zeitlich befristeten – Beteiligung von Baschar al-Assad plus Repräsentanten der moderaten Opposition. Anschließend eine massive internationale Militärfront gegen den „Islamischen Staat“ aus USA, Russland und Europa, Iran und Türkei, den Golfstaaten, Irak und Ägypten plus der verbliebenen Armee Syriens.
Putins Preis jedoch, ein Regime-dominiertes Restsyrien, ist für die golfarabische, türkische und westliche Diplomatie hart zu schlucken. Assad hat mehr als 250.000 Tote auf dem Gewissen. Gleichzeitig wissen die westlichen Staatschefs, dass sie im fünften Jahr des Syriendramas nur noch die Wahl haben zwischen schlechten und der ganz schlechten Option, einem Triumph der Dschihadisten. Und so machte Frankreich kürzlich erstmals nicht mehr einen sofortigen Rücktritt Assads zur Vorbedingung von Gesprächen. Großbritannien und die Vereinigten Staaten äußerten sich ähnlich.
Denn allein schon, wenn es gelänge, die Fässerbomben-Angriffe des Regimes auf seine eigenen Landsleute durch Verhandlungen zu stoppen, könnte das die Fluchtwelle aus Syrien schlagartig reduzieren. Zudem könnte Putin den Westen mit dem Argument ködern, die neue russische Militärpräsenz werde eine unbeschränkte Dominanz von Iran und Hisbollah in dem Minisyrien am Mittelmeer verhindern – eine Perspektive, der sich auch Israels Premier Benjamin Netanjahu zugänglich zeigte.
Die bisherige postosmanische Nation dagegen liegt in Trümmern und wird nie wieder zusammenfinden. Europa und die Vereinigten Staaten haben diesem historischen Debakel von Anfang an tatenlos und unentschlossen zugesehen. Und so wird, sollte es wenigstens für den verbliebenen syrischen Rumpfstaat zu einer Art Friedensregelung kommen, diese eine deutliche russisch-iranische Handschrift tragen.