Düsseldorf/Köln. . Nach Skandalen wird das Kölner Sondereinsatzkommando aufgelöst. Daraufhin zerlegen die Beamten ihren Dienstsitz. Druck auf Kölner Polizeichef nimmt zu.
Aus Frust über die bevorstehende Auflösung eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Kölner Polizei haben Beamte dieser Eliteeinheit offenbar in ihrer Dienststelle randaliert und Mobiliar zerstört, möglicherweise mit einer Motorsäge. Außerdem sollen wild gewordene Polizisten mit einem Motorrad durch die Flure gefahren sein.
Zuvor hatte der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers am Dienstag nach Mobbingvorwürfen gegen SEK-Beamte die Auflösung der Einheit beschlossen. Bei bizarren Aufnahmeritualen sollen Männer in der SEK-Gruppe schikaniert worden sein. Gestern wurde in der Folge des Skandals auch der Chef der Kölner Spezialeinheiten, Uwe Marquardt, von seinen Aufgaben entbunden.
Polizeigewerkschafter sprechen von einer „Vorverurteilung“ der SEK-Beamten. Die Opposition im Landtag hält NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) für mitverantwortlich.
Sie sind für Grenzsituationen zwischen Leben und Tod ausgebildet, auf kühlen Kopf bei Banküberfällen oder Geiselnahmen trainiert. Doch als die Elitepolizisten des Kölner Spezialeinsatzkommandos 3 am Dienstagmittag erfahren, dass ihre Einheit nach einer Reihe von Skandalen aufgelöst wird, müssen einige der hoch spezialisierten Beamten ausgerastet sein. Die Kölner Boulevardmedien beschreiben anderntags eine Abrissparty, wie man sie in einer Polizeidienststelle noch nicht gesehen hat.
Kontrollverlust eines Kommandos: Mit einer Motorsäge sollen die Polizisten ihren Aufenthaltsraum in Brühl zerlegt haben. Theke, Sofa, Tisch – alles Kleinholz. Offiziell will man nur den persönlich gestalteten Aufenthaltsraum für die vielen Wartestunden eines SEK wieder in den Urzustand versetzt haben. Tatsächlich belegen Fotos, die unserer Zeitung vorliegen, dass der Raum am Mittwochmorgen wieder ordentlich übergeben wurde.
Doch die Polizisten sollen auch angetrunken mit einem Cross-Motorrad durch die Flure gebrettert sein. Altgediente SEK-Beamte wurden offenbar herbeigerufen, um die aufgebrachten Kollegen zu beruhigen. Andere Polizisten trauten sich nach Augenzeugen-Berichten nicht, die wild gewordene Spezialeinheit zu stoppen.
Polizeipräsident gerät unter Druck
Kölns Polizeipräsident Wolfgang Albers gerät immer stärker unter Druck. Am Mittwoch wurde auch noch der Chef der Kölner Spezialeinheiten, Uwe Marquardt, von seinen Aufgaben entbunden. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) stellt sich bislang hinter Albers. Der Chef der größten Polizeibehörde in NRW habe die richtigen personellen Konsequenzen „selbstständig und autark“ gezogen, betonte der Innenminister.
Die Opposition im Landtag dagegen nimmt Jäger und Albers gleichermaßen ins Visier: „Offenbar versucht der Polizeipräsident nur seinen eigenen Kopf zu retten, und der Innenminister bleibt tatenlos“, sagte CDU-Innenexperte Gregor Golland. Der Imageschaden für die NRW-Polizei weite sich immer weiter aus. Von einer „medialen Negativserie“ spricht auch FDP-Mann Marc Lürbke.
Alkohol durch den Schlauch einer Atemmaske
Das Kölner SEK hatte zuletzt mit einem Schikane-Skandal Schlagzeilen gemacht. Ein neues Mitglied hatte sich intern über bizarre Aufnahmerituale beschwert: Neulinge würden durch den Luftschlauch einer Tauchermaske mit Alkohol abgefüllt, schliefen mit Handfesseln und müssten Tsatsiki-Knoblauch-Chili-Eis aus dem Schritt eines Kollegen schlecken. 2014 war das SEK Köln auffällig geworden, als dessen Führungsriege auf dem Pylon einer Rheinbrücke vom Hubschrauber aus ein spektakuläres Foto von sich schießen ließ und dies offenbar als Höhenübung tarnte.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) beklagt dagegen eine Vorverurteilung der Elitebeamten. Obwohl die Staatsanwaltschaft keinen Anhaltspunkt für eine strafrechtliche Verfolgung gesehen habe und das interne Disziplinarverfahren noch gar nicht abgeschlossen sei, habe das Innenministerium die Auflösung des Kölner SEK betrieben. „Jeder Straftäter wird besser behandelt als Polizisten, die in schwierigsten Lagen den Kopf hingehalten haben“, kritisierte GdP-Landeschef Arnold Plickert. Die Wut der Kollegen sei verständlich.
Ruf nach Reform der SEK wird immer lauter
Im NRW-Innenministerium wird das „Konzept SEK“ inzwischen kritisch überdacht. Die Elitepolizisten werden immer dann gerufen, wenn es schwierig und gefährlich wird. Die nur jeweils elf Beamte zählenden 18 Einheiten in NRW sind extrem gut ausgebildet, topfit und jede eine verschworene Gemeinschaft. Neue Kommandomitglieder werden einer informellen zweijährigen Probezeit unterzogen, in der ihre Verlässlichkeit getestet wird.
Der Polizei-Abteilungsleiter im Innenministerium, Wolfgang Düren, äußerte sich zuletzt im Landtag nachdenklich über das Spannungsfeld zwischen dem SEK als hoch spezialisierter „Lebensgemeinschaft“ und den Grenzen des Korpsgeists in so einer Truppe. Man müsse wohl über die lange Verweilzeit von rund 20 Jahren in einem SEK nachdenken, räumte Düren ein. SEK-Beamte bleiben zumeist bis zur Höchstaltersgrenze von nicht einmal 50 Jahren in der Regel zusammen, Frauen sind nicht zugelassen.
Polizei-Elite mit seltsamen Sitten
„SEK-Beamte gehören zur Funktionselite der Polizei, und sie pflegen ihr Elitebewusstsein“, erklärt Rafael Behr, Professor an der Akademie der Polizei in Hamburg, gegenüber der WAZ. „Diese Männer müssen ein extremes Aggressionspotenzial aufbauen. Im Dienst funktionieren die Beamten gut, sind hochdiszipliniert. Aber die Energie, die sich aufstaut, braucht ein Ventil“, so Behr.
Die bizarr anmutenden Aufnahme-Rituale und Gruppenausflüge seien ein solches Ventil. Es werde Nähe aufgebaut zu den neuen Mitgliedern, es gehe um Gewaltspiele und um Muskelkraft. Behr: „Die Aufnahmerituale in solchen Gruppen sind eine symbolische Unterwerfung. Motto: Du erniedrigst dich jetzt, aber danach gehörst du voll zu unserer Gruppe dazu.“
Privates und Dienstliches vermische sich in diesen Gruppen. Es handele sich um eine extrem enge Gemeinschaft mit einem klaren Prinzip: Nichts dringt aus der Gruppe nach außen.
Das Zerlegen der Diensträume hat nach Einschätzung des Professors auch eine symbolische Bedeutung: „Die Beamten sind jetzt sozusagen heimatlos geworden. Vier von ihnen dürfen gar nicht mehr in einem SEK arbeiten. Diese Männer dürften das als Wegnahme ihrer Identität empfinden.“ Und die Kritik von außen als zutiefst ungerecht.
Gründung nach dem Olympia Attentat ‘72
Die Gründung der Spezialeinsatzkommandos ist auf die Erfahrungen der Sicherheitskräfte beim Olympia-Attentat 1972 auf israelische Sportler zurückzuführen. Der gescheiterte Befreiungsversuch der Geiseln zeigte, dass die Polizei in solchen besonderen Gefahrensituationen überfordert war. In der Folge wurden Spezialeinheiten zusammengestellt zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung.
In NRW gibt es Spezialeinheiten der Polizei in Münster, Bielefeld, Dortmund, Düsseldorf, Köln und beim Landeskriminalamt. Die landesweit 18 Sondereinsatzkommandos – allein in Köln gibt es drei – bestehen aus je elf Beamten. Der Dienst in einem SEK beginnt mit einer Probezeit. In dieser Zeit müssen die Beamten ein anspruchsvolles Trainingsprogramm absolvieren (Sport, Schießen, Zugriffstechniken, Polizeitaktik etc.). Die Leistungsfähigkeit der SEK-Beamten wird einmal im Jahr überprüft.
Die SEK verstehen sich selbst als Polizei-Elite, das Motto dieser Einsatzkräfte in NRW lautet: „Wir gehen den schweren Weg – das Team kommt an.“ Teamfähigkeit gehört zu den wichtigsten Anforderungen an ein SEK-Mitglied. Gleichzeitig gibt es eine Tendenz solcher Gruppen, sich von anderen, „normalen“ Polizeieinheiten abzugrenzen.