Essen. . Die Bürgermeisterwahlen haben gezeigt, dass das Ruhrgebiet nicht mehr der politische Erbhof der SPD ist. Die Analyse zeigt, warum Ministerpräsidentin Hannelore Kraft dennoch hoffen darf.

Im Schnitt nur rund 40 Prozent Wahlbeteiligung, überraschende Erfolge der CDU im Ruhrgebiet, ein Generationswechsel in den Rathäusern – die Bürgermeisterwahlen werfen viele Fragen auf.

Was bedeutet diese Wahl für Nordrhein-Westfalen?

Glaubt man Oppositionsführer Armin Laschet, verdichten sich die Anzeichen, dass die Machtbasis von Ministerpräsidentin Kraft erodiert. Seit der verkorksten Landtagswahl 2012 war die CDU bei der Bundestags-, Europa- und Kommunalwahl sowie in jüngsten Umfragen stets wieder klar die Nummer eins in NRW. Nun hat die Union in Bonn, Münster oder eben Oberhausen den Nachweis erbracht, dass sie Großstädte gewinnen kann. In Essen besitzt sie beste Aussichten, bei der Stichwahl erstmals wieder eine der zehn bevölkerungsreichsten Metropolen Deutschlands zu erobern.

Also: Rückenwind für 2017, wie ­Laschet behauptet?

Ja und Nein. Richtig ist, dass das Ruhrgebiet kein politischer Erbhof der SPD mehr ist. Die Ergebnisse in Oberhausen und Essen zeigen, dass schlechte Arbeit und Außendarstellung bestraft werden. Selbst Bochum ist kein Selbstläufer mehr. Die Bindekraft der Parteien lässt nach, die Bereitschaft zum Abstrafen oder Nichtwählen wächst.

Das dürfte Krafts SPD, die Mehrheiten im Land nur mit der hohen Bevölkerungsdichte des Reviers gewinnen kann, alarmieren. Gerade weil die NRW-SPD im Mai 2017 vermutlich mehr als zwölf Prozentpunkte über dem Bundestrend der Partei liegen muss, ist die aktuell niedrige Grundmobilisierung der SPD-Anhänger eine Riesengefahr.

Zugleich zeigt sich, dass Köpfe immer häufiger das parteipolitische Kolorit schlagen. In Leverkusen oder Neuss hat die SPD auch deshalb gewonnen, weil sie passendere Kandidaten aufbot als die favorisierte CDU. Das sollte Kraft mit Blick auf die Landtagswahl 2017 beruhigen: Trotz mancher Kritik am müden Erscheinungsbild ihrer Regierung liegen Krafts Imagewerte weit über denen von Laschet. Je personalisierter also die Wahlentscheidung, desto besser für die beliebte Amtsinhaberin.

Ist die geringe Wahlbeteiligung ein Warnsignal für die Politik?

„Es gibt bei uns keinen Grenzwert für Legitimation“, sagt der Düsseldorfer Parteienforscher Ulrich von Alemann: „Wahlbeteiligung ist freiwillig, das ist auch gut so“, meint er. Zudem: Die Wahl von Sonntag sei „eine Sonderwahl“ gewesen. Nur in 178 der 396 Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen standen Kandidaten zur Wahl. „Da konnte keine allgemeine Wahlstimmung aufkommen.“ Von Alemann sorgt sich um eine gesellschaftliche Veränderung: „Deutschland ist zu einer sozial gespaltenen Demokratie geworden“, verweist er auf eine „Bertelsmann“-Studie. Ein Ergebnis: Menschen mit hoher Bildung und in wirtschaftlich guten Verhältnissen gehen wählen, die anderen verzichten zunehmend darauf.

Norbert Kersting, Politikwissenschaftler an der Universität Münster, sieht die geringe Wahlbeteiligung als Anlass, „neue Wahlformen zu testen“ – etwa im Internet. Versuche in der Schweiz und in Estland hätten gezeigt, dass das Wähler mobilisiere, sagt er.

Wie ist das Debakel der SPD in Essen und Oberhausen zu erklären?

In Oberhausen hatte sich zuletzt eine allgemeine Enttäuschung über die Entwicklung der Stadt breitgemacht. Ausufernde Verschuldung, hohe Arbeitslosigkeit, fehlende Bürgerbeteiligung, der schlechte Zustand vieler Schulgebäude und mangelnde Sauberkeit sind Themen, die viele Oberhausener aufregen.

Nach der Aufbruchstimmung in den 1990er-Jahren mit dem damals neuen Centro passierte nicht mehr viel. Seit mindestens zehn Jahren herrscht nach Einschätzung vieler Bürger „Stillstand“. Bisherige SPD-Stammwähler blieben diesmal enttäuscht zu Hause.

In Essen konnte CDU-Mann Thomas Kufen von der Schwäche von OB Reinhard Paß (SPD) profitieren. Bitter: Nur rund 51 000 von rund 457 000 Wahlberechtigten wählten Paß. Der Amtsinhaber gilt als eher technokratisch und recht kommunikationsschwach. In der eigenen Partei war er umstritten. Nun geht es in die Stichwahl.

Jung und männlich ist der Trend

Die Bürgermeisterwahlen sind offenbar eine Männerdomäne. Gerade einmal 15 Prozent der Kandidaten waren Frauen. Im Ruhrgebiet hat mit Katja Strauss-Köster in Herdecke bisher nur eine Kandidatin die Wahl gewinnen können. Ob Sonja Leidemann ihr Amt in Witten behalten darf, steht noch nicht fest. Sie wird sich in einer Stichwahl behaupten müssen.

Männlich und jung, so lautet der Trend. In den Rathäusern dieser Region vollzieht sich ein Generationswechsel. Das Durchschnittsalter der diesmal im Ruhrgebiet gewählten Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte liegt bei rund 49 Jahren. 2009 waren die Gewählten im Schnitt noch 62 Jahre alt. Ein Unterschied von immerhin 13 Jahren.