Damaskus. .

Die Schreckensmeldungen von den Massakern und zerstörten Tempeln in Palmyra waren noch nicht verklungen, da machte der „Islamische Staat“ schon mit der nächsten Horrornachricht von sich reden. Noch nie in dem viereinhalbjährigen Bürgerkrieg seien die IS-Gotteskrieger so nahe an das Zentrum von Damaskus herangerückt, berichtete die „Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte“ und sprach von „wenigen Kilometern bis zum Herzen der Stadt“. Gleichzeitig rückt von Norden her die islamistische „Eroberungsarmee“, deren militärisches Rückgrat Al Kaida bildet, auf die alawitische Hochburg Latakia an der Mittelmeerküste zu. Assad Armee dagegen ist überall in der Defensive. Ihr gehen die Rekruten aus, die Kampfmoral liegt am Boden. Selbst eine massive Gegenoffensive von Hisbollah und iranischen Milizen im Süden von Damaskus konnte das Momentum der Angreifer nicht brechen.

Genozid verhindern

Die dramatischen Wendungen auf dem Schlachtfeld bringen nun auch die starren diplomatischen Fronten in Bewegung. Die Gefahr, dass ein Kollaps des Assad-Staates bevorstehen könnte, hat einen hektischen Reiseverkehr ausgelöst. Einen Einmarsch der Gotteskrieger in Damaskus sowie einen Genozid an der alawitischen Bevölkerung wollen weder die Assad-Feinde USA und Europa noch die Assad-Freunde Russland und Iran. Anfang Juli traf sich der russische Außenminister Sergei Lawrow mit seinen Amtskollegen aus den USA und Saudi-Arabien in Qatar. Letzte Woche gaben sich Jordaniens König Abdullah, der emiratische Kronprinz sowie der saudische Thronfolger Mohammed bin Nayef im Kreml die Klinke in die Hand. Am Freitag reist der saudische König Salman zu seinen ersten Staatsbesuch nach Washington.

Denn die Zeit drängt. Washington weiß, dass die internationalen Luftangriffe gegen den IS bestenfalls dessen Expansion bremsen können. In die kommende Schlacht um Damaskus werden westliche Kampfjets nicht eingreifen, weil sie Assads Truppen damit direkt helfen würden. Die von den USA trainierten Rebelleneinheiten spielen keine Rolle. Und so scheint es nur eine Frage der Zeit, bis die anrückenden Islamisten-Heere die Tore der syrischen Hauptstadt einrennen.

Vor allem Moskau, was Bashar al-Assad zusammen mit Teheran bisher bedingungslos unterstützte, ist über seinen syrischen Vasallen zunehmend frustriert. Gotteskrieger aus Zentralasien und dem Kaukasus bilden nach Tunesien und Saudi-Arabien mittlerweile das drittstärkste Auslandskontingent beim IS. Eine Delegation der syrischen Opposition posaunte nach einem Besuch in Moskau gar heraus, die russische Führung sei bereit, für eine Friedenslösung Assad fallenzulassen – eine Aussage, die Lawrow verärgert dementierte, die aber auch von amerikanischen und türkischen Spitzendiplomaten kolportiert wird. US-Präsident Obama orakelte derweil im Weißen Haus von einer günstigen Konstellation in Moskau und Teheran.

Bislang 250 000 Todesopfer

Mit oder ohne Assad, bei der konkreten Gestalt einer politischen Übergangslösung jedoch sind die Kontrahenten bisher keinen Schritt weiter. Nach außen fordern die USA weiterhin den Sturz des Diktators, der mehr als 250 000 Tote auf dem Gewissen hat. Intern jedoch wachsen die Zweifel, ob dies nicht augenblicklich Massendesertionen sowie einen Zusammenbruch der Armee und des gesamten Reststaates auslösen könnte, der IS und Al Kaida den Sieg frei Haus liefert. Das weiß auch Assad, der das Gefeilsche um seinen Kopf mit wachsender Nervosität registriert. „Wir haben vollstes Vertrauen zu den Russen“, deklamierte er kürzlich im Hisbollah-Sender Al-Manar. „Sie haben in den vergangenen vier Jahren bewiesen, sie sind aufrichtig, transparent und prinzipienfest.“