Düsseldorf. Die von ihr angeführte rot-grüne Regierungskoalition läuft geräuschlos, die Opposition beklagt fünf Jahre Stillstand: Hannelore Kraft - eine Bilanz.

Gerade erst hat Hannelore Kraft wie jedes Jahr im sauerländischen Sundern ihr Sportabzeichen gemacht. In dieser Woche eilt die 54-Jährige auf ihrer Sommertour „NRW 4.0“ durchs Land, um sich über den rasanten digitalen Wandel zu informieren. Die rot-grüne Landesregierung will den Anschluss an die „neue Zeit“ nicht verlieren.

Dabei hätte man ein kleines Jubiläum fast übersehen: Am Dienstag ist Hannelore Kraft seit fünf Jahren Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen. Die Opposition beklagt „fünf Jahre Stillstand“. Rot-Grün lobt die eigene vorbeugende Politik. Hier ist unsere Leistungsbilanz.

Große Beliebtheit - und vier weitere Plus-Punkte der Hannelore Kraft 


1. Persönlichkeit:
In der Bevölkerung genießt die SPD-Politikerin deutlich höhere Sympathiewerte als ihr CDU-Herausforderer Armin Laschet. Bodenständig, direkt, mit dem unüberhörbaren Ruhrpott-Slang, findet Kraft schnell Zugang zu den Menschen. Dass sie leicht reizbar ist, wenn etwas nicht so klappt, wissen Mitarbeiter und Abgeordnete. In der „Berliner Luft“ fremdelt die Mülheimerin. Seit ihrer Erklärung, dass sie „nie, nie Kanzlerkandidatin“ werden wolle, ist ihr Einfluss in der Bundespolitik geschrumpft. Dafür kann sich die Regierungschefin jetzt voll auf NRW konzentrieren.

2. Kita-/Studiengebühren:
Mit der Streichung der Studiengebühren und dem beitragsfreien letzten Kindergartenjahr hat Kraft bei vielen Familien gepunktet. Ihr Versprechen „Kein Kind zurücklassen“, der massive Ausbau der Betreuungsplätze in Kitas und der offene Ganztag in Schulen haben Kraft politisch Rückenwind verschafft.

3. Koalition: Die rot-grüne Koalition arbeitet seit fünf Jahren weitgehend störungsfrei. Das enge Verhältnis zwischen Kraft und ihrer grünen Stellvertreterin Sylvia Löhrmann („Doppeltes Lottchen“) funktioniert. Auch wenn die Grünen zuletzt beim Landesentwicklungsplan (LEP), der Polizeireform und beim Ausbau des schnellen Internets mangelnden Reformwillen der SPD beklagten, stimmt das Koalitionsklima. Dass Kraft ihr angekratztes Image bei der Wirtschaft in jüngster Zeit durch industriefreundliche Beschlüsse etwa in der Klima- und Flächenpolitik aufpoliert, stört grüne Umweltpolitiker.

Hannelore Krafts Leben in Bildern

Hannelore Kraft ist seit 2010 Regierungschefin in NRW.  Dort, wo auch der...
Hannelore Kraft ist seit 2010 Regierungschefin in NRW. Dort, wo auch der... © dpa
... Beginn und der Mittelpunkt ihres (politischen) Lebens liegen. Genauer gesagt...
... Beginn und der Mittelpunkt ihres (politischen) Lebens liegen. Genauer gesagt... © dpa
... im beschaulichen Mülheim an der Ruhr. Hier wird Kraft, mit mütterlichen Namen Külzhammer, am 12. Juni 1961 als Kind eines Straßenbahnfahrers und einer Schaffnerin geboren. Kraft macht 1980...
... im beschaulichen Mülheim an der Ruhr. Hier wird Kraft, mit mütterlichen Namen Külzhammer, am 12. Juni 1961 als Kind eines Straßenbahnfahrers und einer Schaffnerin geboren. Kraft macht 1980... © dpa
... ihr Abitur am Gymnasium Broich. Anschließend absolviert sie eine Ausbildung zur Bankkauffrau und beginnt 1982...
... ihr Abitur am Gymnasium Broich. Anschließend absolviert sie eine Ausbildung zur Bankkauffrau und beginnt 1982... © dpa
... ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Duisburg und am Londoner King's College, das bis 1989 dauert. In...
... ein Studium der Wirtschaftswissenschaften in Duisburg und am Londoner King's College, das bis 1989 dauert. In... © dpa
... die SPD tritt die Mutter eines Sohnes 1994 als damals 33-Jährige ein. Bereits...
... die SPD tritt die Mutter eines Sohnes 1994 als damals 33-Jährige ein. Bereits... © dpa
... zwei Jahre zuvor heirat sie ihren Udo Kraft(r.) standesamtlich. Die kirchliche Trauung...
... zwei Jahre zuvor heirat sie ihren Udo Kraft(r.) standesamtlich. Die kirchliche Trauung... © dpa
.... holen sie Jahre später in Namibia nach. Doch zurück zum beruflichen Werdegang: Kraft wird...
.... holen sie Jahre später in Namibia nach. Doch zurück zum beruflichen Werdegang: Kraft wird... © dpa
... im Jahr 2000 erstmals als Abgeordnete für ihre Heimatstadt in den NRW-Landtag gewählt. Nur ein Jahr später ist sie schon...
... im Jahr 2000 erstmals als Abgeordnete für ihre Heimatstadt in den NRW-Landtag gewählt. Nur ein Jahr später ist sie schon... © dpa
... im Kabinett von Wolfgang Clement (l.) Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten. Und der Aufstieg geht weiter,...
... im Kabinett von Wolfgang Clement (l.) Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten. Und der Aufstieg geht weiter,... © dpa
... als sie ab 2002 unter Neu-Ministerpräsident Peer Steinbrück (r.) das Amt der Wissenschaftsministerin übernimmt und bis 2005 bekleidet. Als dann die CDU...
... als sie ab 2002 unter Neu-Ministerpräsident Peer Steinbrück (r.) das Amt der Wissenschaftsministerin übernimmt und bis 2005 bekleidet. Als dann die CDU... © dpa
... die Regierungsmacht in NRW übernimmt, wird Kraft zur Vorsitzenden der der SPD-Fraktion und zur Oppositionsführerin gewählt. 2007 wird sie neue Landeschefin der SPD, 2010 zusätzlich Spitzenkandidatin für die kommenden Landtagswahlen. Auch auf Bundesebene...
... die Regierungsmacht in NRW übernimmt, wird Kraft zur Vorsitzenden der der SPD-Fraktion und zur Oppositionsführerin gewählt. 2007 wird sie neue Landeschefin der SPD, 2010 zusätzlich Spitzenkandidatin für die kommenden Landtagswahlen. Auch auf Bundesebene... © dpa
... rückt sie auf: Kraft wird 2009 eine von vier Stellvertretern des Partei-Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel (r.). Mit 90 Prozent der Stimmen erzielt sie das beste Abstimmungsergebnis. Im Duell...
... rückt sie auf: Kraft wird 2009 eine von vier Stellvertretern des Partei-Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel (r.). Mit 90 Prozent der Stimmen erzielt sie das beste Abstimmungsergebnis. Im Duell... © dpa
... mit CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers behält sie ebenfalls die Nase vorn. Ihr gelingt der erneuter Regierungswechsel. Allerdings...
... mit CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers behält sie ebenfalls die Nase vorn. Ihr gelingt der erneuter Regierungswechsel. Allerdings... © dpa
... können SPD und Grüne keine eigene Mehrheit bilden. Zusammen mit Koalitionspartnerin Sylvia Löhrmann (l.) fehlt Kraft lediglich eine Stimme zur Mehrheit im Parlament. Sie beschließt...
... können SPD und Grüne keine eigene Mehrheit bilden. Zusammen mit Koalitionspartnerin Sylvia Löhrmann (l.) fehlt Kraft lediglich eine Stimme zur Mehrheit im Parlament. Sie beschließt... © dpa
... NRW in einer Minderheitsregierung zu führen. Am 14. Juli 2010 wird sie im zweiten Wahlgang zur Ministerpräsidentin gewählt. Das neue Parlament...
... NRW in einer Minderheitsregierung zu führen. Am 14. Juli 2010 wird sie im zweiten Wahlgang zur Ministerpräsidentin gewählt. Das neue Parlament... © dpa
...hällt allerdings nur zwei Jahre. Am 14. März 2012 wird der Landtag einstimmig aufgelöst. Bei den im Mai stattfindenen Neuwahlen...
...hällt allerdings nur zwei Jahre. Am 14. März 2012 wird der Landtag einstimmig aufgelöst. Bei den im Mai stattfindenen Neuwahlen... © dpa
... erreichen SPD und Grüne nun eine absolute Mehrheit. Das Kabinett Kraft...
... erreichen SPD und Grüne nun eine absolute Mehrheit. Das Kabinett Kraft... © dpa
... führt seitdem die Geschicke des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. Dass sie...
... führt seitdem die Geschicke des bevölkerungsreichsten Bundeslandes. Dass sie... © dpa
... auch Berlin kann, zeigt Kraft bei ihren Auftritten während Koalitionsverhandlungen im Sommer 2013: Dabei nahm sie nur selten ein Blatt vor den Mund. Das...
... auch Berlin kann, zeigt Kraft bei ihren Auftritten während Koalitionsverhandlungen im Sommer 2013: Dabei nahm sie nur selten ein Blatt vor den Mund. Das... © dpa
... musste auch CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt (l.), erfahren, als Kraft ihn bei einer lautstarken Auseinandersetzung zum Thema Haushaltspolitik zur Rede stellt. Bei den Ausschusssitzungen...
... musste auch CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt (l.), erfahren, als Kraft ihn bei einer lautstarken Auseinandersetzung zum Thema Haushaltspolitik zur Rede stellt. Bei den Ausschusssitzungen... © dpa
... war Kraft Vorsitzende beim Thema Energie-Politik. Parteiinterne Rufe, schon bald ein Spitzenamt in Berlin zu übernehmen...
... war Kraft Vorsitzende beim Thema Energie-Politik. Parteiinterne Rufe, schon bald ein Spitzenamt in Berlin zu übernehmen... © dpa
... ließ Kraft verhallen. Im Gegenteil: Sie werde
... ließ Kraft verhallen. Im Gegenteil: Sie werde "nie, nie, nie" als Kanzlerkandidatin antreten, teilte sie zweifelnden Genossen mit. Angela Merkel wird das mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen haben. © dpa
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4. Energiepolitik: Kraft hat die Energiepolitik zur Chefsache erklärt. In harten Verhandlungen hat Kraft gemeinsam mit Laschet durchgesetzt, dass die für NRW wichtige Kraft-Wärme-Kopplung stärker gefördert und eine zusätzliche Abgabe auf Braunkohle-Strom verhindert wurde. In NRW sitzen mit RWE, Eon und vielen Stadtwerken große Energiekonzerne – mehr als 200 000 Arbeitsplätze hängen an der Energiewirtschaft.

5. Rolle in der Partei: Die Vorsitzende des größten SPD-Landesverbandes sitzt fest im Sattel. Den Vorwurf, sie sei nach den Jahren als Ministerin und Ministerpräsidentin amtsmüde, weist sie entschieden zurück. Kraft gönnt sich im „Ruhe-Modus“ gelegentlich politische Auszeiten und überlässt ihren Ressortministern wie zuletzt in der heiklen Flüchtlingsfrage das Feld. Bisher regiert sie aber weitgehend skandalfrei.

Große Schulden - und vier weitere Minus-Punkte der Hannelore Kraft
 

1. Finanzen: Trotz boomender Steuereinnahmen türmt Kraft den Schuldenberg von mittlerweile 140 Milliarden Euro seit Amtsantritt um weitere Milliarden auf. Der Regierungschefin fehlt der Mut zum Sparen. Während andere Bundesländer Schulden tilgen, löst Kraft soziale Aufgaben mit vermeintlich guten Schulden. Drei Haushalte hat das Verfassungsgericht verurteilt. Als Kraft mit einer kurzfristigen Haushaltssperre ein Signal zum Sparen setzen wollte und Gästen Leitungswasser anbot, erntete sie nur Spott.

2. Arbeitslosigkeit: Zwar ist die Arbeitslosenquote in NRW auf 7,9 Prozent gesunken. NRW ist aber zum Problemfall geworden, weil die Arbeitslosigkeit um 41 Prozent über dem Schnitt der westdeutschen Länder liegt. Damit hat NRW erstmals sogar Thüringen überholt. Vor allem der hohe Anteil der schwer vermittelbaren Langzeitarbeitslosen belastet die Bilanz in NRW. Das Prognos-Institut bilanziert, dass NRW beim Wirtschaftswachstum weiter zurückgefallen ist.

3. Investitionen: NRW ist zum Stauland Nr.1 geworden, weil ausreichende Investitionen in Straßen, Brücken, Bus- und Bahnnetze fehlen. Aus Sicht von Experten gerät die Zukunftsfähigkeit in Gefahr, wenn der Ausbau von Flughäfen, Straßen, Gewerbe- und Wohngebieten an finanziellen und ökologischen Widerständen scheitert. In Ländervergleichen schneidet NRW häufig schlecht ab.

4. Bildung/Schulen: Kraft ist stolz darauf, dass sie seit 2010 knapp 140 Milliarden Euro in Kinder, Bildung und Familien investiert hat. Trotzdem schneidet NRW in Bildungsvergleichen weiter nur schwach ab. Beim Thema Inklusion klagen Eltern, Lehrer, Schüler und Kommunalpolitiker über die schlechte Vorbereitung des gemeinsamen Lernens von behinderten und nicht behinderten Schülern. Mit der „Gängelung“ der Hochschulen durch bürokratische Hürden hat sich Kraft an den Universitäten keine Freunde gemacht.

5. Internet: Viel zu spät hat Kraft die Bedeutung der „Industrie 4.0“ für den Standort NRW erkannt. Weil die Fördermittel in den Breitband-Ausbau nicht reichen, geraten Betriebe außerhalb der Ballungsräume unter Druck. Mit einer Image-Kampagne und dem flächendeckenden Werbe-Einsatz ihrer Minister versucht Kraft, verlorenen Boden beim schnellen Internet gut zu machen. Die Opposition kritisiert aber den „Stillstand am Wirtschaftsstandort NRW“.