Athen. “Bei einer Rückkehr zur Drachme wären wir erledigt“, warnen griechische Geschäftsleute. Viele Athener halten sich nur noch mit Mühe über Wasser.
"Die Leute haben kein Geld mehr, die Wirtschaft liegt am Boden." Evangelis Panagiotopoulos bekommt die Krise Griechenlands am eigenen Leib zu spüren. Der Friseur sitzt auf einer Bank vor seinem kleinen Salon in der Nähe des Omonia-Platzes im Zentrum von Athen und wartet auf Kundschaft. "Die Zahl meiner Kunden ist um 40 Prozent zurückgegangen", klagt der 65-Jährige. "Um Geld zu sparen, lassen die Athener sich die Haare daheim von ihren Frauen schneiden."
Die Griechen blicken gebannt auf den EU-Sondergipfel an diesem Sonntag. Dann soll in Brüssel die Entscheidung fallen, ob ihr Land auf neue Hilfen hoffen kann oder ob ein "Grexit", also das Verlassen der Euro-Zone, unvermeidbar wird. Am vorigen Sonntag hatten sie noch voller Stolz mit ihrem Nein im Referendum der Spar- und Reformpolitik der Geldgeber eine Absage erteilt. Jetzt aber macht sich wieder Angst um die Zukunft breit.
"Hoffentlich findet Europa einen Ausweg aus der Misere"
An der Panepistimiou-Straße, einer der Hauptverkehrsadern Athens, bleiben Passanten vor den Kiosken stehen und studieren mit bangen Blicken die Titel der aushängenden Zeitungen. Dort sind Schlagzeilen zu lesen wie "Euro oder Drachme" ("Kathimerini"), "Wir sind noch am Leben" ("Dimokratia") oder "Die Geldgeber wollen unsere bedingungslose Kapitulation" ("I Efimerida"). Eine junge Frau wird von den Schlagzeilen so sehr in den Bann gezogen, dass sie im Gehen mit einem entgegenkommenden Passanten zusammenprallt.
"Hoffentlich findet Europa einen Ausweg aus der Misere", sagt die Rentnerin Vaso, die zusammen mit ihrem Sohn ein kleines Schuhgeschäft betreibt. "Wir haben praktisch keine Kunden mehr. Ich weiß nicht, wie lange wir noch durchhalten werden." Kyria Vaso (Frau Vaso), die ihren Nachnamen und ihr Alter nicht nennen will, führt seit über 35 Jahren den Laden in der Nähe des Omonia-Platzes, ebenso wie Panagiotopoulos seinen Friseursalon.
Diese Gegend zwischen der Athener Altstadt ("Plaka") und dem Bahnhof war einmal ein blühendes Viertel mit Geschäften, Firmen- und Bürogebäuden. Nun ist es zu einem Sinnbild der Krise und des Niedergangs geworden. Mehrstöckige Bauwerke stehen leer und verfallen. Das ehemalige "Hotel Apollon" gleicht einem Geistergebäude: Der Name steht zwar noch dort, wo einmal der Eingang war. Aber die Zugänge und Geschäfte im Erdgeschoss sind mit Blechen verrammelt. In den vier oberen Etagen sind Balkontüren herausgerissen und Fensterscheiben eingeschlagen. Durch die leeren Zimmer des gespenstisch anmutenden Gebäudes pfeift der Wind.
Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent
"Wenn jetzt noch die Drachme kommt, sind wir komplett erledigt", befürchtet Evangelis Fanourgakis. Der 77-Jährige betreibt in der Nähe ein Geschäft für Reinigungsartikel. Er hält sich damit finanziell mühevoll über Wasser. "Die Zahl meiner Kunden ist auf weniger als die Hälfte gesunken", beklagt er. "Nur Gott weiß, wie diese Krise enden wird."
Besonders dramatisch sind die Zukunftsaussichten der jungen Leute. Bei einer Jugendarbeitslosigkeit von über 50 Prozent haben die meisten kaum Hoffnungen, einen Job zu finden. "Viele meiner Klassenkameraden haben Angst vor dem, was auf uns zukommt", sagt die 18-jährige Christina. Sie hat gerade Abitur gemacht und bummelt mit ihrer Freundin durch die Altstadt. Nach dem Sommer möchte sie Lebensmittel-Technologie studieren. "Ich bin optimistisch. Wenn ich in dieser Branche mal keinen Job finden werde, suche ich mir etwas Anderes. Ich lasse mich nicht hängen."
Auf den Straßen von Athen ist von der dramatischen Finanzkrise nur wenig zu spüren - abgesehen davon dass die Banken geschlossen sind, Leute vor den Geldautomaten Schlange stehen und Busse sowie U-Bahnen gratis sind. Auf dem zentralen Markt bieten die Stände weiterhin Lebensmittel aller Art an. Auch die Regale in den Supermärkten sind gut gefüllt. Dies könnte sich aber rasch ändern, wenn die Lastwagenfahrer nicht mehr tanken können, weil sie kein Bargeld für Treibstoff mehr haben, und die Lieferungen ausbleiben.
In den Apotheken sind derzeit noch alle Medikamente verfügbar. Chronisch Kranke legen sich allerdings vorsichtshalber schon einmal Vorräte an für den Fall, dass die Krise sich verschärfen sollte. "Im Augenblick gibt es keine Probleme", sagt Theodoros Joannidis, Lagerchef des größten Pharma-Großhandels in Griechenland. "Die Apotheken bekommen alle Bestellungen ausgeliefert." Dies könne sich aber schnell ändern - nämlich dann, wenn die Lieferanten aus dem Ausland oder die einheimischen Hersteller plötzlich auf die Idee kämen, Zahlungen nur noch mit Bargeld zu akzeptieren. (dpa)