Berlin/Düsseldorf. . Im August will die Bundesregierung das Pflegestärkungsgesetz im Kabinett beschließen. Zum 1. Januar 2017 soll die Reform in Kraft treten.

Der Gesundheitsminister drückt aufs Tempo: Nach Jahre langen Debatten über die Verbesserung der Pflege hat Hermann Gröhe (CDU) die Umstellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade auf den Weg gebracht. Wer verstehen will, warum Deutschland diese Reform braucht, muss sich Frau Mustermann anschauen.

Erika Mustermann ist 73 Jahre alt und an Demenz erkrankt. Sie lebt in einer Wohngruppe und bekommt Hilfe von einem Pflegedienst. Der Gutachter hat einen Grundpflegebedarf von 48 Minuten veranschlagt - bei Frau Mustermann bedeutet das: Pflegestufe 1. Nicht nur für die 73-Jährige ist das zu wenig. Viele Demenzkranke haben einen Betreuungsbedarf, der sich durch die Stufensystem nicht decken lässt. Die Regierung will deswegen die Einstufung reformieren. Nach Gröhes Plänen bekäme Frau Mustermann ab 2017 Pflegegrad 3 - und damit deutlich mehr Leistungen.

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Im August will die Regierung das Pflegestärkungsgesetz im Kabinett beschließen. Kassen, Pflegedienste und Heime hätten dann mehr als ein Jahr Zeit, bevor die Reform am 1. Januar 2017 greift. Um die Umstellung von drei Pflegestufen auf fünf Pflegegrade zu finanzieren, soll der Beitragssatz zur Pflegeversicherung vom 1. Januar 2017 an um 0,2 Prozentpunkte steigen.

Umstellung zum 1. Januar 2017

Wichtig: Frau Mustermann und alle anderen, die jetzt schon pflegebedürftig sind, müssen sich nicht neu begutachten lassen, sondern werden automatisch in das neue System überführt. Allein in NRW betrifft das rund 580 000 Menschen. Nachteile schließt Minister Gröhe aus: Es gibt einen Bestandschutz - selbst diejenigen, die sich probehalber neu begutachten lassen, sollen sich auf ihre bisherigen Ansprüche verlassen können. „Wer heute eine Leistung erhält, bekommt sie auch künftig“, lautet die Regierungslinie. Mehr als vier Milliarden Euro kostet der Bestandsschutz für die 2,7 Millionen Pflegebedürftigen.

Mit der Umstellung zum 1. Januar 2017 sollen alle Pflegebedürftigen um eine Stufe heraufgesetzt werden - in den meisten Fällen bedeutet das mehr Geld als heute: Wer zu Hause gepflegt wird und Pflegestufe eins hat, bekommt heute 244 Euro Pflegegeld im Monat - in Pflegegrad zwei gäbe es künftig 316 Euro. Bei Demenzkranken soll es sogar zwei Schritte nach oben gehen - wie im Fall von Frau Mustermann. Rund 500 000 Menschen sollen durch die Reform zudem erstmals Leistungen in Pflegegrad eins bekommen.

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Bei der Einstufung sollen die Gutachter künftig sechs Kriterien prüfen: Mobilität (10 Prozent), Sprechen und Verstehen sowie psychische Stabilität (15 Prozent), Selbstständigkeit beim Essen und Trinken, Waschen und Ankleiden (40 Prozent), Umgang mit Medikamenten, Blutzuckermessung oder Prothesen (20 Prozent) und schließlich die Fähigkeit, den Alltag zu gestalten und Kontakte zu pflegen (15 Prozent).

Gröhes Gesetzentwurf bringt darüber hinaus Veränderungen bei Heimbewohnern, die derzeit je nach Pflegestufe einen Eigenanteil zwischen 460 und 900 Euro pro Monat zahlen müssen. Weil viele Patienten und ihre Angehörigen auf pflegerisch nötige Neueinstufungen verzichten, um höhere Eigenanteile zu vermeiden, sollen die Eigenanteile in allen fünf Pflegegraden in Zukunft bei durchschnittlich 580 Euro eingefroren werden. Das bedeutet: Mehrkosten zu Beginn der Pflege, aber auf Dauer Entlastung.

„Großzügig“, findet der Bremer Gesundheitsökonom Heinz Rothgang die Regelungen. Die Regierung gebe mehr Geld aus als erwartet, lobt er. Jedoch: „Mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff wird die Einstufung verändert - das heißt nicht, dass die Pflege besser wird.“ Auch Elisabeth Scharfenberg, Pflegeexpertin der Grünen, begrüßte die Reform grundsätzlich, warnte gegenüber dieser Zeitung aber ebenfalls davor, die Wirkung der Reform zu überschätzen: Mehr Geld bedeute „nicht automatisch bessere Qualität“.