Essen. Die Polizei will bald mit Hightech-Methoden gegen Straftäter vorgehen. Für Verkehrssünder ist das geplante Arsenal ein Gruselkabinett.
Dass die Polizei an Rhein und Ruhr ihre VW durch BMW ablöst – es dürfte für Straftäter und Verkehrssünder eher eine harmlose Sache sein. Denn Deutschlands Ordnungshüter sollen mit ganz anderem Kaliber aufgerüstet werden. Gibt es Taser, die Stromschocks austeilen, bald auch für Streifenpolizisten? Dazu: Cops könnten künftig beweissichernde Body Cams mitführen, den Strafzettel-Block durch Notebooks ersetzen und Temposünder nicht mehr mit Starenkästen und einzelnen Laserpistolen überführen, sondern mit Section Control. Das ist die Blitzer-Revolution.
Mehrere Bundesländer testen neue Technologien gerade durch. Auch Vertreter der Hersteller verschiedenster HighTech-Systeme pendeln derzeit über Fachmessen und durch Expertentagungen und werben für ihre Produkte. Ob Nordrhein-Westfalen mitmacht? Wobei genau? Vor allem: wann? Das ist vielfach noch offen. Das Landesamt für Polizeiliche Dienste (LZPD) am Duisburger Innenhafen guckt sehr genau nach Hannover und Wiesbaden. Die Kollegen in Niedersachsen und Hessen starten gerade spannende Versuchsreihen oder werten sie aus. „Wir warten das ab“, sagen sie in Duisburg.
Section Control soll Polizei Frontalangriff auf Temposünder ermöglichen
Die Bundesstraße 6 bei Laatzen südlich der niedersächsischen Landeshauptstadt ist unfallträchtig, die Crash-Ursache oft eine überhöhte Geschwindigkeit. Deshalb hat man sie als Teststrecke für eine neue Blitzer-Technik ausgewählt. Jenoptik hat die Versuchsanordnung im April übergeben. Jetzt werden die aufgebauten neuen Kameras durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt geeicht.
Mit dem Ende der Sommerferien geht es in eine erste Versuchsrunde, die zwei Wochen dauert, vor der sich aber kein Raser fürchten muss. Knöllchen sind da noch tabu. Danach: Auf einem Abschnitt von drei Kilometern sechs Monate geprobter Ernstfall. Am Ende, hofft die Polizei, werden die Autofahrer einsehen, dass das kurzzeitige Abbremsen vor einer Tempo-Kontrolle absolut nichts mehr bringt. Section Control soll flächendeckender zu diszipliniertem Fahren zwingen und auch gerechter sein.
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Hier planen sie gerade nichts weniger als den Frontalangriff gegen alle heimlichen Temposünder. Wie die Methode funktioniert? Section Control, in Nachbarstaaten wie Österreich und den Niederlanden Alltag und in Schottland mit durchschlagendem Erfolg (97 Prozent weniger Raser) auf einem 220 Kilometer langen Stück Straße getestet, misst das Tempo nicht mehr an einem einzelnen Punkt. Zwei Kameras samt Computer ermitteln die Durchschnittsgeschwindigkeit eines Fahrzeugs auf einer längeren Strecke.
Fährt das Fahrzeug in diesen Anschnitt hinein, wird das Heck mit einem unsichtbaren Infrarot-Blitz fotografiert. Der Computer zoomt sich das Kennzeichen heran und eine GPS-gesteuerte Zeiterfassung drückt eine Art Zeitstempel drauf. Gleichzeitig erfasst ein Laserschirm das Auto, um klarzustellen: Ist hier ein Pkw unterwegs oder ein Lkw? Erreicht der Proband das Ende der Strecke, wiederholt sich der Vorgang. Wieder die Heckaufnahme. Wieder ein Zeitstempel. Jetzt kann der Rechner, der nur die kürzeste Verbindungslinie zwischen Ein- und Ausfahrt berücksichtigt, im Abgleich mit den Einfahrtsdaten genau kalkulieren, wie schnell sein Kandidat unterwegs war: Er dividiert Wegstrecke durch Zeit.
Musste des Auto Kurven nehmen oder hat den Fahrstreifen gewechselt, geht das zu Gunsten des Fahrers . Hat sich der Autofahrer ans Limit gehalten, werden seine Daten sofort vernichtet. Ist er aber als Temposünder ertappt, kommt die dritte Kameras zum Zug – für das übliche „Passfoto“. Das Gesamtpaket wird dann zur „Verstoßdatei“ übermittelt, digital signiert und der Verfolgungsbehörde verschlüsselt zugesandt.
Der Einsatz von Section Control wird auf jeden Fall nur auf die gefährlichsten Straßen verteilt. Denn jedes der Systeme ist teuer, ungefähr 200.000 Euro. Und es ist datenschutzrechtlich pikant: Anders als bisher wird das Kennzeichen zunächst auch der Fahrer gespeichert, die sich an die Regeln halten. Das löst Diskussionen aus. Die Datenschutzbeauftragten sind aber in den Versuch eingebunden. Sie fordern wasserdichte Speicher-Regeln. Gerade wird an einem letzten Rechtsgutachten gebastelt, um das neuen Verfahren juristisch unanfechtbar zu machen.
Polizei hat mit Body Cams gute Erfahrungen gemacht
Die Gewalt bei Auseinandersetzungen mit der Polizei nimmt zu. Für schwierige Einsatzsituationen wie bei Demonstrationen oder vor Stadien oder die Beweissicherung beim “Zugriff“ zeichnet sich eine technische Lösung ab: Schwenkbare, 10 bis 13 Zentimeter hohe Mini-Kameras, die die Polizisten am Körper tragen. Sie werden zum Beispiel an der Schulterklappe der Uniform befestigt, können bis zu 2,5 Stunden aufnehmen. Die Polizeigewerkschaften machen starken Druck, sie zu beschaffen, weil besonders die Zahl verbaler und tätlicher Angriffe auf Polizeibeamte seit Jahren steil ansteigt. Sie sagen: Wo die Aufzeichnungen schon eingesetzt werden, da schreckt die Body Cam ab, da gehen diese Angriffe zurück.
Hessen hat Body Cams in einer einjährigen Pilotphase erprobt. Erstes Ergebnis: Durchweg positiv. Möglicherweise 72 Systeme sollen auf Polizeieinheiten im ganzen Bundesland verteilt werden. Nordrhein-Westfalen hat bisher aus grundsätzlichen Erwägungen gezögert, die Kameras zu kaufen. Tatsächlich verschieben sie in Konfliktlagen die Beweissicherung zugunsten der Staatsdiener.