Brüssel.

David Cameron ist Wahlsieger, und vor Wahlsiegern, auch wenn sie nerven, haben die EU-Kollegen allemal Respekt. Sie messen den britischen Premier nicht an den schneidigen Parolen, die er, unbekümmert ums jeweilige Thema, bei jedem EU-Gipfel in die Mikrofone der Heimatpresse schnarrt. Auch wenn es stets so klingt, als müsse das Königreich gegen ein Wikingerheer verteidigt werden – geschenkt, das gehört zum Geschäft. Auf dem Kontinent, dessen Hauptstädte Cameron in diesen Tagen bereist, ist man bereit, dem Briten soweit es geht, entgegenzukommen. Das Problem: So weit, wie womöglich nötig, ist das nicht.

Vermutlich schon kommendes Jahr, spätestens 2017, sollen die Untertanen ihrer Majestät per Volksabstimmung entscheiden, ob sie in der EU bleiben wollen oder nicht. Diese EU, das will Cameron zuvor bei den anderen durchsetzen, soll so passend gemacht werden, dass der Ministerpräsident seinen Landsleuten das Yes-Wort empfehlen kann. Das lässt in Brüssel manche erbost „Erpressung!“ rufen. Nicht ohne Grund: Das Muster ähnelt verblüffend dem der griechischen Syriza-Regierung, die auch auf die eigenen Wahlversprechen verweist, um den EU-Partnern Zugeständnisse abzunötigen.

An den Erfolg des Manövers ihres Regierungschefs glauben die Briten selber nicht recht. Nach einer neuen Umfrage bezweifelt eine überwältigende Mehrheit, dass Cameron eine EU nach britischem Geschmack zustande bringt. Dabei gibt es für jedes Londoner Einzel-Anliegen Sympathisanten jenseits des Kanals – aber nicht in der Kombination wie auf der Insel und schon gar nicht in Verbindung mit der Forderung nach einer Änderung der EU-Verträge. Die wäre nur bei Zustimmung aller möglich und wird von den meisten abgelehnt.

Das Dilemma besteht vor allem bei den beiden britischen Hauptanliegen: Beschränkung der Zuwanderung aus anderen EU-Staaten und Verzicht auf das gemeinschaftliche Ziel einer „immer engeren Union“. Den instinktiven Widerwillen gegen zu viel Zentralismus, das Beharren auf den Vorrang nationaler Souveränität teilt das Königreich mit den mittel- und osteuropäischen Staaten, deren EU-Beitritt niemand so energisch betrieben hat wie London.

Gehetzt von den Populisten

Ausgerechnet diese Länder wären aber Leidtragende einer rigorosen Einschränkung der Freizügigkeit, wie sie Cameron, gehetzt von den National-Populisten und ihrer Presse, verlangt. Auch Angela Merkel, die sich wirtschaftspolitisch bei den liberalen Briten eher zu Hause fühlt als bei den staatsgläubigen Franzosen, kann weder das Prinzip Freizügigkeit noch die Perspektive der zusammenwachsenden Union opfern. Sie wird alles tun, um nicht zwischen Paris und London wählen zu müssen. Aber wenn sie muss, dann wählt sie Paris.