Berlin. 250.000 Deutsche sind abhängig von Cannabis. Doch Fachleute sind sich einig: Der Konsum von legalen Drogen wie Alkohol ist weitaus gefährlicher.

Jeder neunte junge Erwachsene in Deutschland hat in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert - und sich oft durch Erwerb oder Besitz der Droge strafbar gemacht. Die Debatte um eine Legalisierung des Rauschmittels nimmt jetzt Fahrt auf, doch Suchtexperten warnen davor, die Risiken von Cannabis zu unterschätzen: Immerhin 250 000 Menschen sind in Deutschland bereits von Cannabis abhängig, wie die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in ihrem neuen, am Mittwoch vorgestellten Jahrbuch berichtet. Die Fachleute mahnen allerdings auch: Der Konsum der legalen Drogen Alkohol und Tabak hat bisher viel schlimmere Folgen.

Über die Legalisierung von Cannabis wird bereit seit Jahren diskutiert, die Grünen haben dazu gerade erst einen Gesetzentwurf im Bundestag eingebracht. Überraschend stellt sich nun der CDU-Wirtschaftspolitiker und Bundestagsabgeordnete Joachim Pfeiffer in die Reihe der Befürworter: Nur ein staatlich regulierter Markt für Cannabis könne die organisierte Kriminalität wirksam bekämpfen, schreibt Pfeiffer in einem gemeinsamen Papier mit dem Grünen-Wirtschaftsexperten Dieter Janecek.

Experten fordern regulierten Cannabis-Markt statt Strafverfolgung

Statt Milliarden in die Strafverfolgung von Konsumenten zu stecken und junge Erwachsene zu kriminalisieren, sollte besser die Vorbeugung gestärkt werden - der Jugendschutz ließe sich mit jenen zwei Milliarden Euro Steuereinnahmen finanzieren, die ein regulierter Cannabis-Markt bringt, rechnen die beiden Politiker vor.

Während die Grünen-Spitze den Vorstoß begrüßte, gingen Politiker der Union und die Deutsche Polizeigewerkschaft auf Distanz. CDU-Gesundheitsexperte Jens Spahn sagte: "Der Einstieg in einen staatlich regulierten Markt mit Cannabis wäre aus gesundheitspolitischer Sicht ein völlig falsches Signal, das wird es mit der Unionsfraktion nicht geben." Cannabis sei keine Spaßdroge, regelmäßiger Konsum habe fatale Auswirkungen auf die körperliche und geistige Entwicklung junger Menschen und erhöhe das Risiko, später härtere Drogen zu konsumieren.

Gesundheitsminister strikt gegen Freigabe

Auch Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) versicherte, er sei strikt gegen die Freigabe von Cannabis. "Die gesundheitlichen Folgen des Rauschmittels dürfen nicht verharmlost werden", warnte Gröhe.

Allerdings: So viel politische Aufmerksamkeit wünschen sich Experten auch für die Gefahren von Alkohol und Tabak. Denn durch deren Konsum kommen in Deutschland mehr als hundertmal so viele Menschen ums Leben wie durch illegale Drogen, rechnete die Hauptstelle für Suchtfragen am Mittwoch vor: Risikofreien Konsum gebe es bei diesen Drogen nicht. Allein an den Folgen des Rauchens sterben in Deutschland dem Bericht zufolge jedes Jahr 100 000 bis 120 000 Menschen, was der Einwohnerzahl einer mittelgroßen Stadt wie Jena, Koblenz oder Ulm entspricht.

74.000 Tote durch Zigaretten

Und der Alkoholkonsum allein oder in Kombination mit Tabak bringe noch einmal 74 000 Menschen jährlich einen früheren Tod. Auf jeden Bundesbürger entfielen demnach im Schnitt mehr als tausend Zigaretten im Jahr und 137 Liter alkoholischer Getränke.

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Nachdem der Anteil der Raucher bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren zurückging, fürchten die Fachleute jetzt eine Trendumkehr durch die E-Zigaretten: Die nikotinfreien Zigaretten mit ihren süßen Aromen wirkten auf Kinder und Jugendliche so harmlos wie Alcopops, sagte DHS-Expertin Gabriele Bartsch.

Verbot von Zigarettenautomaten im Gespräch

Sie forderte entschlossenere Reaktionen der Politik, unter anderem ein Verbot öffentlich zugänglicher Zigarettenautomaten und eine Lizensierung von Tabakverkaufstellen. Mit der Abschaffung von Automaten oder neutralen Verpackungen für Zigarettenschachteln hätten andere europäische Länder gute Erfahrungen gemacht, Deutschland aber hinke hinterher.

So stünden 400 000 der gut eine Million Zigarettenautomaten in der EU in Deutschland. Die Hauptstelle, Dachorganisation von zahlreichen Suchthilfe-Vereinen, verlangt aber auch weitere Werbebeschränkungen und mehr Auflagen für den Verkauf von Alkohol.

Alkohol und Tabak sind die "Drogen mit dem größten Schadenspotenzial

Auch bei politischen Aktivitäten zur Vorbeugung von Krankheiten müsse die Alkohol- und Tabakprävention den Vorrang bekommen. "Deutschland muss endlich die internationalen Spitzenplätze im gesundheitsschädlichen Konsum legaler Drogen verlassen", forderte Bartsch.

Alkohol und Tabak blieben die "Drogen mit dem größten Schadenspotenzial". Besorgt zeigen sich die Experten auch über mangelnde Hilfen gegen Spielsucht: Immerhin 436 000 Menschen zeigen ein krankhaftes Spielverhalten, doch Spielersperren zum Schutz von Süchtigen vor Automaten und Spielhallen würden in den meisten Bundesländern nur unzureichend oder gar nicht geregelt.