Essen. Der Staatsschutz beim LKA in NRW warnt vor möglichen Terroranschlägen in Nordrhein-Westfalen. Die Situation sei “sehr angespannt“, heißt es.

Zwei Wochen nach dem vereitelten islamistischen Nagelbombenanschlag in Hessen sitzt den Fahndern die Furcht im Nacken. Für sie ist es „eine Frage der Zeit“, wann Salafisten in Deutschland den nächsten Versuch unternehmen. Bundesweit zählen die Ermittler jetzt 1800 in die Kriegsgebiete des Nahen Ostens ausgereiste und zum Teil schon zurückgekehrte deutsche Extremisten, wie NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) auf einer Polizeitagung in Düsseldorf sagte. Sie kommen aus Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Berlin und Frankfurt. Besonders gefährlich: die traumatisierten oder noch mehr radikalisierten Rückkehrer. Sie hätten eine „kurze Zündschnur“, glauben Ermittler.

Jäger wirft der Türkei indirekt eine Mithilfe bei der Reisetätigkeit der Extremisten vor. „Die Türkei ist eine Drehscheibe für die dschihadistischen Krieger“, glaubt er. „Sie können dort ungehindert durchreisen“. Jäger: „Ein Riesenproblem“.

Staatsschutz: Situation in NRW angespannt

Klaus-Stephan Becker ist der Chef des Staatsschutzes beim Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf. Er ist überzeugt: „Besonders in Nordrhein-Westfalen haben wir eine sehr angespannte Situation“. Was Becker umtreibt: Die jüngste Video-Botschaft des deutschen Chefpropagandisten des „Islamischen Staates“ und früheren Berliner Rappers Deso Dogg, Denis Cuspert. Darin fordert dieser die „Geschwister“ unverhohlen auf: Bleibt in Europa. Macht hier die Anschläge.

Die Kalkulation des LKA-Experten: Es gibt längst nicht mehr nur einen “individuellen Dschihad“, in dem einzelne „turboradikalisierte“ Personen ohne Befehl und aus eigenem Antrieb heraus handeln. Auch 30 Prozent der bundesweit rund 1000 Gefährder , die dem „Islamischen Staat“ nahe stehen, kommen aus NRW. Sie könnten wie ihre Komplizen zuletzt in Paris und Kopenhagen, Australien und Kanada „Low Level“-Anschläge vorbereiten – mit Schusswaffen, Messern und Autos.

Zwar sei der einzige tödliche Anschlag in Deutschland seit 9/11 durch einen Einzeltäter in Frankfurt realisiert worden; zwei US-Soldaten waren die Opfer. Die Erfahrung zeige aber: Die Spuren fast aller seit 2006 im letzten Moment verhinderten Attentate hätten in die dichten Ballungsräume an Rhein und Ruhr geführt. Zu den Kofferbombern in den Regionalexpresszügen nach Unna und Koblenz, die an falsch gebauten Zündern scheiterten. Zur aufgeflogenen Sauerland-Gruppe, die beim Bombenbau in der Nähe von Berleburg ertappt wurden. Zur Düsseldorfer Zelle, der gerade in der Landeshauptstadt der Prozess gemacht wird. Am Ende zum gescheiterten Anschlag auf Bahnsteig 1 des Bonner Hauptbahnhofs, „wo wir viel Glück hatten“ (Becker), und zum misslungenen Versuch, den Vorsitzenden der rechten Partei „Pro NRW“ bei Leverkusen umzubringen.

Mehrere Gruppen im Visier

Das Landeskriminalamt hat derzeit mehrere Personen und Gruppen im Visier. Dazu gehören aus der Haft entlassene Islamisten, nach Beckers Auffassung „tickende Zeitbomben“, die im Gefängnis von ihren Freunden intensiv „betreut“ worden seien. Der Cheffahnder: „Es gibt da einen aktuellen Fall, den wir beobachten“.

Dazu gehört auch eine Szene von Unterstützern - vermeintlich humanitäre Hilfsorganisationen wie „“Medizin mit Herz“, oder „Helfer in Not“. Sie dienen der Tarnung, sammeln Geld oder schicken Helfer in die Kriegsgebiete nach Syrien, Irak und zunehmend Libyen. Und auch die „Marketingabteilungen“: Propagandisten, die über das Netz oder an Straßenständen Rekruten für den Dschihad organisieren. Die NRW-Polizei sieht die Aktivitäten von Hasan K. alias „Abu Ibrahim“ aus Solingen mit Sorge, der für die inzwischen verbotene Gruppe Millatu Ibrahim trommelt.

Videobotschaften voller Hass

„Faschistoide Züge“ trügen manche Videobotschaften der Islamisten, sagt Becker, die Clips seien hass-geprägt, „mit Grundlinien wie in den Zeiten des Dritten Reiches“. Problematisch ist für die Fahnder auch die Aktion der Verteilung von Koranexemplaren auf öffentlichen Straßen und Plätzen. Sie sehen den Kölner Extremisten Ibrahim Abu Nagie als einen der Drahtzieher. Er nutze die Stände, um junge Muslime für den Einsatz von Gewalt zu gewinnen.

Reisetätigkeiten in die Kriegsgebiete bleiben nach wie vor im Mittelpunkt der Beobachtungen der Sicherheitsbehörden. Schafft es die Polizei, sie zu stoppen? Die Behörden warten auf das neue Pass-Gesetz, das bei Verdächtigen auch den Einzug des Personalausweises möglich macht – und damit den Grenzübertritt unmöglich. Derzeit gilt jedoch: „Wir versuchen die Ausreisenden aufzuhalten, aber das gelingt uns mehr oder weniger schlecht“, räumt Landesinnenminister Jäger ein. Er warne vor einer Verurteilung des Islam. Nur ein Bruchteil der Muslime sei radikalisiert, vielleicht 8000 von vier Millionen in der Bundesrepublik. Aber „Der Salafismus ist in Deutschland entstanden“.