Brüssel. . Die EU muss die Verteilung von Flüchtlingen neu organisieren, findet die EU-Kommission. Das könnte Deutschland entlasten. Doch es gibt Widerstand.

  • Die EU will die Verteilung von Flüchtlingen neu organisieren
  • Die Verteilung von Flüchtlingen soll sich demnächst an Kennzahlen wie Bevölkerungszahl, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und bereits aufgenommenen Flüchtlingen orientieren
  • Mehrere Länder haben Widerstand gegen die Pläne angekündigt

Nach den Bootsunglücken mit Tausenden Toten im Mittelmeer hat die EU-Kommission Vorschläge für eine Neuausrichtung der europäischen Flüchtlingspolitik beschlossen. Das Gremium habe bei seiner Sitzung ein Strategiepapier zur Einwanderung angenommen, schrieb die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini am Mittwoch im Kurznachrichtendienst Twitter. Details dazu nannte sie nicht. In dieser "Einwanderungsagenda" schlägt die EU-Kommission dem Vernehmen nach Quoten für die gerechte Verteilung schutzbedürftiger Flüchtlinge auf alle EU-Staaten vor. Dies ist in der EU umstritten.

Ausschlaggebend für die nationalen Kontingente, das war bereits vorab angeklungen, sollen Kriterien wie die Bevölkerungszahl eines Landes, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und die Zahl der bereits aufgenommenen Flüchtlinge sein. Deutschland könnte auf Entlastung rechnen. Doch es gibt Widerstand der Briten und osteuropäischer Länder.

Beim Sondergipfel zum Flüchtlingselend im Mittelmeer vor zweieinhalb Wochen hatten Angela Merkel und die anderen Staats- und Regierungschefs das Thema nur am Rand gestreift. Beschlossen wurden damals Maßnahmen, mehr schiffbrüchige Migranten aufzufischen und an Land zu bringen.

Wohin mit den Schutzsuchenden Flüchtlingen?

Beschlossen wurde vor allem ein massiver Einsatz gegen Schleuser, die aus der lebensgefährlichen Passage übers Mittelmeer ein Geschäft gemacht haben. Für das politisch heikelste Problem – wohin mit den Ankömmlingen? – wollten die Regierungen zuerst die Vorschläge der Brüsseler EU-Zentrale sehen.

Hilfe für Flüchtlinge

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Nach deren Vorstellungen ist „ein dauerhaftes System geteilter Verantwortung der Mitgliedsstaaten für hohe Zahlen von Flüchtlingen und Asylbewerbern“ nötig. Die EU-Außenpolitikchefin Federica Mogherini erläuterte den Ansatz diese Woche im UN-Sicherheitsrat. „Wir verstärken unsere Anstrengungen um Neuansiedlung und verbessern die Möglichkeiten, auf legalem Weg nach Europa zu kommen.“

EU will Reform der Asylpolitik

Dazu gibt es zunächst ein politisches Konzept, dem im zweiten Schritt genaue Vorschläge folgen sollen. Ein vorläufiges Verteilungssystem soll bis Ende des Monats vorliegen, bis Ende des Jahres ist der Gesetzentwurf zur grundlegenden Reform der gemeinsamen Asylpolitik angekündigt.

Nach den vorab bekannt gewordenen Plänen zur Migrationsagenda denkt die Kommission an zwei Verteilverfahren. Es geht zum einen um die Aufnahme von Menschen aus Lagern außerhalb der EU („Resettlement“). Allein in der Türkei und im Libanon leben derzeit rund 2,8 Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien in solchen Camps. Davon möchte die Kommission pro Jahr 20.000 in EU-Staaten unterbringen. Zum anderen geht es um Migranten, die schon in der EU sind. Sie sollen nach einem Schlüssel verteilt werden („Relocation“).

Deutschland trägt bei den Flüchtlingen eine Hauptlast

Bislang nimmt Deutschland fast ein Drittel aller Asylanträge in der EU (32 Prozent von knapp 630.000 im vergangenen Jahr) entgegen. Auch Schweden (13 Prozent) kümmert sich weit überdurchschnittlich um die Neuzugänge. Die kommen zum großen Teil nicht direkt, denn nach den geltenden Regeln ist das Land zuständig, in dem jemand zuerst Fuß auf EU-Boden setzt („Dublin-Abkommen“).

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Von Christopher Onkelbach

In der Praxis funktioniert das nur lückenhaft. Viele Migranten ziehen zum Beispiel aus Italien oder Malta weiter nach Norden. In den Mitgliedstaaten stoßen die Brüsseler Pläne nicht auf einhellige Zustimmung.

Ungarn kritisiert EU-Pläne: „Verrückt und unfair“

„Wir glauben nicht, dass ein Zwangsverteilungssystem die Antwort ist“, erklärte das Londoner Innenministerium. Ungarns Premier Viktor Orban hat die Ideen sogar als „verrückt und unfair“ gebrandmarkt. Und auch aus den baltischen Ländern kommen Bedenken, so dass keineswegs sicher ist, ob Brüssel die nötige Mehrheit im Ministerrat, dem Organ der Regierungen, zusammen bekommt.

Boote auf letzter Fahrt

Flüchtlingsboot v or Lampedusa, 2011.
Flüchtlingsboot v or Lampedusa, 2011. © imago stock&people
Von der Küstenwache begleitet im Mittelmeer, September 2014.
Von der Küstenwache begleitet im Mittelmeer, September 2014. © dpa
Vor Lampedusa, September 2011.
Vor Lampedusa, September 2011. © imago stock&people
Vor Lampedusa, März 2011.
Vor Lampedusa, März 2011. © imago stock&people
April 2011: Ein Schiff mit Flüchtlingen aus Libyen vor Lampedusa.
April 2011: Ein Schiff mit Flüchtlingen aus Libyen vor Lampedusa. © imago stock&people
Vor Lampedusa, Mai 2011: Ein Boot aus Libyen.
Vor Lampedusa, Mai 2011: Ein Boot aus Libyen. © imago stock&people
Havarie eines überladenen Flüchtlingsbootes vor Lampedusa.
Havarie eines überladenen Flüchtlingsbootes vor Lampedusa. © imago/JOKER
Ein Boot mit 281 Flüchtlingen an Bord vor der kalabrischen Küste, Juni 2014.
Ein Boot mit 281 Flüchtlingen an Bord vor der kalabrischen Küste, Juni 2014. © dpa
Die Küstenwache geleitet ein Flüchtlingsboot, Oktober 2013.
Die Küstenwache geleitet ein Flüchtlingsboot, Oktober 2013. © dpa
Flüchtlingsboot vor Lampedusa, Juni 2013.
Flüchtlingsboot vor Lampedusa, Juni 2013. © Getty Images
200 Migrantgen auf einem Boot vor Lampedusa, Januar 2014.
200 Migrantgen auf einem Boot vor Lampedusa, Januar 2014. © picture alliance / dpa
Ein Flüchtlingsboot vor Lampedusa, Juli 2008.
Ein Flüchtlingsboot vor Lampedusa, Juli 2008. © Getty Images
Bis zur Bordkante voller Menschen: Ein Boot vor Lampedusa, April 2011.
Bis zur Bordkante voller Menschen: Ein Boot vor Lampedusa, April 2011. © dpa
Vor dem Hafen von Lampedusa, März 2011.
Vor dem Hafen von Lampedusa, März 2011. © imago stock&people
Nur ein Schlauchboot: Februar 2014 vor Lampedusa.
Nur ein Schlauchboot: Februar 2014 vor Lampedusa. © dpa
Ein Flüchtlingsboot ist in der Nähe eines deutschen Handelsschiffes gekentert: April 2015.
Ein Flüchtlingsboot ist in der Nähe eines deutschen Handelsschiffes gekentert: April 2015. © dpa
Mit diesem Ruderboot kamen tunesische Migranten an den Strand von Lampedusa.
Mit diesem Ruderboot kamen tunesische Migranten an den Strand von Lampedusa. © imago/Anan Sesa
Friedhof der Flüchtlingsboote in Lampedusa: Ein Foto aus dem Mai 2014.
Friedhof der Flüchtlingsboote in Lampedusa: Ein Foto aus dem Mai 2014. © imago/Independent Photo Agency
Auf dem Schiffsfriedhof von Lampedusa.
Auf dem Schiffsfriedhof von Lampedusa. © imago/JOKER
Nicht viel größer als die Nussschalen der Flüchtlinge: Mit dem umgebauten Nordseekutter
Nicht viel größer als die Nussschalen der Flüchtlinge: Mit dem umgebauten Nordseekutter "Sea Watch" will der Deutsche Harald Höppner im Mittelmeer Schiffbrüchige retten. © dpa
Ein Boot der italienischen Küstenwache.
Ein Boot der italienischen Küstenwache. © Getty Images
Die Gregoretti - auch mit hochseetauglichen Schiffen wie diesem liest die italienische Küstenwache Flüchtlingsboote auf.
Die Gregoretti - auch mit hochseetauglichen Schiffen wie diesem liest die italienische Küstenwache Flüchtlingsboote auf. © dpa
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Diese Sorge treibt auch zuständige Vertreter des Europaparlaments um. „Die Mitgliedsstaaten müssen jetzt liefern“, fordert Birgit Sippel, innenpolitische Sprecherin der Sozialdemokraten. Deutschland habe bislang rund 20.000 Syrien-Flüchtlinge aufgenommen, Großbritannien ganze 148. „Das ist nicht fair!“