Essen. Die GDL kämpft vor allem gegen das geplante Gesetz zur Tarifeinheit. Sie streikt, als ginge es um Leben und Tod. Und so ist es auch. Eine Analyse.
Die Politik hat sich in Deutschland aus Tarifauseinandersetzungen herauszuhalten. Das ist mehr als ein guter Brauch, es ist im Grundgesetz so verankert. Doch nun gerät der Arbeitskampf der Lokführer zum Politikum ersten Ranges. Es geht weniger um Löhne, dafür umso mehr um die Tarifautonomie und ums Streikrecht. Denn die Politik belässt es diesmal nicht dabei, die Streiks der Gewerkschaft GDL als unverhältnismäßig zu kritisieren, sondern bringt gerade ein Gesetz auf den Weg, das die Macht der Spartengewerkschaften einschränken würde.
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Die Politik beeinflusst damit zumindest indirekt diesen Tarifkonflikt – umgekehrt beeinflusst die GDL mit ihren resoluten Streiks, unter denen Pendler und Unternehmen leiden, die Gesetzgebung. Und alle Beteiligten bewegen sich auf sehr dünnem Eis. Der Lokführerstreik gerät zum Stellvertreterkampf gegen ein Gesetz, das aller Voraussicht nach ohnehin beim Verfassungsgericht landen wird.
Die GDL, der Marburger Bund, Cockpit...
Die Kernfrage lautet: Darf es in einem Betrieb mehrere Tarifverträge für eine Berufsgruppe geben? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese Frage 2010 eindeutig mit „Ja“ beantwortet und damit die bis dahin gepflegte Rechtspraxis unter dem Motto „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ gekippt. Das gab kleinen Spartengewerkschaften wie der GDL, der Ärztegewerkschaft Marburger Bund oder der Pilotenvereinigung Cockpit Auftrieb. Sehr zum Leidwesen von Konzernen, die mehrere Gewerkschaften im Haus haben. Die Lufthansa etwa wurde nacheinander von Piloten, Boden-, Vorfeld- und Kabinen-Personal bestreikt. Deshalb forderte die Wirtschaft von der Politik, die verloren gegangene Tarifeinheit per Gesetz wiederherzustellen.
Die Große Koalition nahm sich das vor, ließ aber lange die Finger von diesem Gesetz – bis GDL-Chef Claus Weselsky im vergangenen Herbst zum ersten Mal das Land lahm legte. Ihm ging es dabei von Beginn an darum, auch für das Zugpersonal einen Tarifvertrag abzuschließen, das bisher mehrheitlich in der Konkurrenzgewerkschaft EVG organisiert ist. Dabei beruft er sich auf die seit dem BAG-Urteil geltende Tarifpluralität. Weil die Bahn einheitliche Verträge will, drehen sich die Tarifpartner seit zehn Monaten im Kreis.
Spielt die Bahn bis Juli auf Zeit?
Die Bahn hofft nun offenbar, dass die Regierung ihr im Dezember entworfenes Gesetz bald verabschiedet. Es sieht vor, dass im Streitfall nur der Tarifvertrag der größeren Gewerkschaft gilt. Für die GDL wird dieser Arbeits- damit zum Überlebenskampf. „Die große Koalition will das Tarifeinheitsgesetz noch im Juli 2015 verabschieden“, erklärt die Gewerkschaft und wirft der Bahn vor, die Verhandlungen bis dahin verzögern zu wollen. Die Reaktionen auf den ganzwöchigen Streikaufruf lassen freilich erahnen, dass sich die Regierung nun erst recht beeilen dürfte.
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Das Gesetz ist hoch umstritten. Das BAG begründete seine Entscheidung ausdrücklich mit dem Grundrecht der Koalitionsfreiheit. Es lässt jedem Arbeitnehmer die Freiheit, sich einer Gewerkschaft seiner Wahl anzuschließen. Diese wiederum hat im Rahmen der Tarifautonomie das Recht, Tarifverträge zu erstreiten, dies notfalls mit Streiks. Kritiker des Gesetzes zur Tarifeinheit sehen deshalb gleich mehrere Grundrechte verletzt.
Auch die Juristen sind sich nicht einig
Dagegen hält etwa Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Arbeitnehmer könnten ihre Gewerkschaft nach wie vor frei wählen, deren Wirken könne der Gesetzgeber aber sehr wohl einen Rahmen setzen.
Viele seiner Kollegen halten dagegen, die Koalitionsfreiheit sei nichts mehr wert, wenn eine Gewerkschaft keinen Tarifvertrag abschließen dürfe. Damit werde auch das Streikrecht demontiert, meint Arbeitsrechtler Wolfgang Däubler. Denn jeder Streik muss tariflichen Forderungen dienen, sonst kann er verboten werden. Das von der GDL vertretene Zugpersonal etwa dürfte dann nicht mehr streiken.
Das ginge selbst der Großgewerkschaft Verdi zu weit, die selbst mit Splittergewerkschaften zu kämpfen hat. Weil er im Gesetz einen „Eingriff ins Streikrecht“ sieht, kündigte Verdi-Chef Frank Bsirske an, gegen dieses Gesetz vors Bundesfassungsgericht zu ziehen. An der Seite der ansonsten nicht gut gelittenen GDL, die mit ihrer Streikwut die Gesetzesmaschinerie erst in Gang gesetzt hat. Das nehmen ihr fast alle anderen Gewerkschaften übel.