Berlin. .
Eine Wende in der Spionageaffäre um den Bundesnachrichtendienst bringt das Kanzleramt unter Druck und den affärengeplagten Innenminister Thomas de Maizière (CDU) in neue Bedrängnis: Das Kanzleramt bestätigte gestern, dass es über die Wirtschaftsspionage-Praxis des US-Geheimdienstes NSA bereits 2008 in Kenntnis gesetzt wurde.
Damals war de Maizière Amtschef der Regierungszentrale und in dieser Funktion auch für den BND zuständig. Demnach hatte der BND 2008 in einem vertraulichen Bericht darüber informiert, dass die NSA versucht hatte, europäische Rüstungskonzerne wie EADS und Eurocopter mit Hilfe des deutschen Geheimdienstes abzuschöpfen.
Die Kooperationspraxis, bei der die NSA dem BND viele tausend Suchanfragen für das Abhören von Telefon- und Internetverkehr übermittelte, die anders als vereinbart nicht nur die Terrorabwehr betrafen, wurde danach aber offenbar nicht geändert; auch de Maizières Nachfolger als Kanzleramts-Chef, Ronald Pofalla (CDU), wurde zwei Jahre später offenbar über die Rechtsverstöße informiert, wie die „Bild am Sonntag“ berichtete. Das Eingeständnis der Regierung ist brisant, weil die heutige Leitung des Kanzleramts am Donnerstag den Eindruck vermittelt hatte, von den umfangreichen Spionageversuchen der NSA erst vor wenigen Wochen erfahren zu haben – angeblich war bis dahin auch der seit 2012 amtierende BND-Chef Gerhard Schindler ahnungslos. Das Kanzleramt hatte in ungewöhnlich harscher Form öffentlich „technische und organisatorische Defizite“ des BND gerügt; ein Affront gegenüber Schindler, über dessen Rücktritt nun spekuliert wird.
Dass aber mindestens de Maizière und Pofalla von den Vorgängen sehr viel früher wussten, überrascht und alarmiert auch den NSA-Untersuchungsausschuss. SPD-Obmann Christian Flisek sagte der NRZ: „Wenn das Kanzleramt seit 2008 informiert war, macht das die Vorgänge noch schlimmer. Dann stellt sich die Frage, warum nichts unternommen wurde – obwohl auf Verlangen der NSA über Jahre gegen deutsche Interessen verstoßen wurde.“
„Gesamte Kontrolle auf Prüfstand“
Flisek kündigte an, die SPD werde nun den Druck auf das Kanzleramt erhöhen: Kanzlerin Angela Merkel sei „in der Pflicht“, gegenüber den USA nach diesem Vertrauensbruch deutliche Worte zu finden. Es sei aber fraglich, ob die Brisanz im Kanzleramt ausreichend erkannt worden sei. „Offenbar funktioniert weder die Aufsicht innerhalb des BND noch die Aufsicht des Kanzleramtes – wir müssen jetzt die gesamte Kontrolle auf den Prüfstand stellen“, sagte Flisek. Die Obfrau der Linken, Martina Renner, äußerte den Verdacht, die Regierung habe den Bundestag bei diesem Thema belogen. Merkel und de Maizière sind ohnehin als Zeugen im NSA-Untersuchungsausschuss vorgesehen; de Maizières Vernehmung wird nun möglicherweise vorgezogen.