Hamburg. Handelsschiffe retteten schon 40.000 Flüchtlinge im Mittelmeer. Oft kam ihre Hilfe aber zu spät. Viele Seeleute verzweifeln daran, die Reeder auch.

Der Hamburger Reeder Christopher E.O. Opielok führt ein kleines Unternehmen mit fünf Schiffen. Zwei davon sind im Mittelmeer als Versorgerschiffe eingesetzt und beliefern von Malta aus Öl- und Gasplattformen vor der libyschen Küste mit Betriebsmaterial. Aber die Besatzungen stehen zunehmend vor ganz anderen Herausforderungen: Seit Dezember haben die Schiffe des Reeders bei mehr als einem Dutzend Rettungseinsätzen rund 1500 Flüchtlinge aus untergehenden Booten gerettet - und viele andere nicht retten können. Erst am Wochenende erschütterte ein neues Unglück vor der libyschen Küste mit möglicherweise bis zu 950 Toten.

"Unsere Besatzungen sehen die Menschen sterben; sie ertrinken vor unseren Augen oder erfrieren an Bord", sagt Opielok. Viele der Seeleute seien am Ende ihrer Kraft und suchen sich einen anderen Job.

"Wir sind auf die Rettungseinsätze nicht eingerichtet", sagt Opielok. Die Schiffe fahren mit zwölf Mann Besatzung und nehmen teils mehrere Hundert Flüchtlinge auf. Es fehlt an Platz, Sanitäreinrichtungen, Proviant, Medizin, Essen und Trinken und erster Hilfe. "Manche Flüchtlinge erfrieren innerhalb von Minuten an Deck, nachdem wir sie unterkühlt aus dem Wasser gezogen haben", berichtet der Reeder, der selbst lange als Kapitän zur See gefahren ist.

Flüchtlingsboote steuern gezielt in die Öl- und Gasfelder

Entziehen darf sich der Kapitän eines Handelsschiffes nicht, wenn er zur Hilfe in Seenot aufgefordert wird. Das wäre strafbar. Die Schlepper der Flüchtlinge wissen das und steuern die Boote gezielt in die Öl- und Gasfelder vor der libyschen Küste. "Dort ist der Schiffsverkehr am dichtesten", berichtet Opielok. Dann alarmieren die Flüchtlinge die italienische Küstenwache, die das nächstgelegene Schiff zu den seeuntüchtigen Booten dirigiert. "Das sind echte Notrufe, denn die Menschen sind in Lebensgefahr", sagt Opielok. Die Schlepper und Fluchthelfer machen sich also die zivile Schifffahrt zunutze.

Opielok kann der Situation nicht ausweichen. Er ist auf den Auftrag im Mittelmeer angewiesen. Seit dem Verfall der Ölpreise im vergangenen Jahr ist das Geschäft der Reederei viel schwieriger geworden. Etliche Ölbohrinseln haben die Produktion gedrosselt oder eingestellt und benötigen somit keine Versorgungsschiffe mehr. Die Charterraten fallen. Wegen der Flüchtlinge bangt der Reeder, ob er seinen Chartervertrag erfüllen kann - eine einzige Rettungsmission kann 24 Stunden dauern. "In dieser Zeit können wir unseren Vertragspflichten nicht nachkommen." Das beeinträchtigt auch die Versorgung und die Sicherheit auf den Ölplattformen.

Reeder appellierten an die Regierungen der EU-Länder

Der Hamburger Reeder ist bei weitem kein Einzelfall. Handelsschiffe haben im vergangenen Jahr rund 40 000 Flüchtlinge aus Seenot gerettet. Und die Reederverbände befürchten einen dramatischen Anstieg. In einem gemeinsamen Appell haben sich die europäischen und die Weltverbände der Reeder und der Gewerkschaften der Seeleute an die 28 EU-Regierungen gewandt. Wenn Tausende weitere Opfer vermieden werden sollten, müssten die EU-Staaten zusätzliche finanzielle Mittel bereitstellen und die finanzielle Bürde teilen.

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S o sehen es auch die deutschen Reeder. "Unsere Seeleute und die italienische Küstenwache leisten großartige Arbeit, indem sie täglich Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Ertrinken retten", sagt Ralf Nagel, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Verbandes Deutscher Reeder (VDR). "Die Reedereien treffen Vorsorge, etwa durch zusätzlichen Proviant, Decken und Medikamente an Bord. Aber das Ausmaß der Flüchtlingskatastrophe ist so dramatisch, dass unsere Seeleute an ihre körperlichen und psychischen Grenzen stoßen." Die EU-Regierungschefs müssten mehr staatliche Rettungsmittel einsetzen und schnellstmöglich Lösungen finden, um des Flüchtlingsstroms über das Mittelmeer Herr zu werden. (dpa)