Washington. Die US-Armee wickelt praktisch alle tödlichen Drohnenangriffe über ihren deutschen Stützpunkt Ramstein ab. Das belegen jetzt Dokumente in den USA.

Dass der US-Stützpunkt Ramstein bei Kaiserslautern als Drehscheibe für amerikanische Militär-Missionen in aller Welt dient, ist bekannt. Dass ohne Ramstein der völkerrechtlich umstrittene Drohnen-Krieg von Präsident Obama gegen islamistische Terror-Verdächtige technisch unmöglich wäre, ist neu und bringt – falls sich die Vorwürfe bestätigen – die Bundesregierung in Erklärungsnot.

Das US-Investigativ-Journalismus-Büro „The Intercept“, gegründet von Glenn Greenwald, der maßgeblich die NSA-Enthüllungen von Edward Snowden veröffentlichte, berichtet in Zusammenarbeit mit dem „Spiegel“, dass US-Kampfdrohnen über Afghanistan, Jemen oder Pakistan ohne die Satelliten-Relais-Station in Ramstein gar nicht fliegen könnten.

Entscheidung über Leben und Tod

„Von Ramstein aus wird das Signal übermittelt, das den Drohnen befiehlt, was sie tun sollen“, zitiert der Dokumentar-Filmer Jeremy Scahill („Schmutzige Kriege“), Autor des Berichts, einen US-Militärvertreter. Weitere geheime Militär-Unterlagen stützen die Aussage.

Konkret heißt das: Funk-Signale der unbemannten Drohnen vom Typ „Predator“ oder „Reaper“, die über dem Hindukusch, Afrika oder dem Nahen Osten kreisen, werden per Satellit zentral nach Ramstein gesendet. Von dort aus gelangen die Daten über ein Glasfaserkabel, das unter dem Atlantik verläuft, in Beinahe-Echtzeit in die Vereinigten Staaten. Dort, etwa auf der Creech Airforce-Base im Bundesstaat Nevada, sitzen in unterirdischen Leitständen Drohnen-Piloten. Sie entscheiden per Knopfdruck über Leben und Tod. Auf der Grundlage von aus Deutschland gesendeten Daten.

Nur unter dieser engen technischen Präzisierung ist laut „Intercept“ zu verstehen, warum Präsident Obama bei seiner Rede 2013 am Brandenburger Tor betonte, dass Deutschland nicht der „Ausgangspunkt“ („launching point“) amerikanischer Anti-Terror-Einsätze sei. Im Nachklang hatte die Bundesregierung konkretisiert, dass von Deutschland aus keine amerikanischen Drohnen „gesteuert“ oder „befehligt“ werden. Das Gegenteil hatte auch niemand behauptet. Sehr wohl aber, dass in Ramstein der technisch Unterbau installiert ist, ohne den die lautlosen Scharfrichter gar nicht eingesetzt werden können.

Bundesregierung sah bisdato keine "gesicherten Erkenntnisse"

Als mehrere deutsche Medien 2013 und 2014 berichteten, dass in Ramstein Filmaufnahmen von Drohnen-Einsätzen analysiert und nachrichtendienstlich aufbereitet werden, gab sich die Bundesregierung zugeknöpft. Es gebe in Berlin keine „gesicherten Erkenntnisse“ über das, was auf der US-Basis Ramstein im Rahmen des Drohnen-Einsatzes geschieht.

Laut vertraulichen Vermerken der Bundesregierung ist diese Darstellung kaum mehr zu halten, schreibt „Intercept“. Danach haben die USA das Verteidigungsministerium in Berlin bereits im November 2011 im Detail darüber schriftlich in Kenntnis gesetzt, dass in Ramstein das technische Rückgrat für den Drohnenkrieg installiert wird. Sprich: die Relais-Station. Was zu Unruhe führte.

Als unmittelbar vor Obamas Besuch in Berlin Emily Haber, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, von Washington die verbindliche Erklärung verlangen wollte, dass US-Stellen in Deutschland (ergo: Ramstein) sich „nicht an gezielten Tötungseinsätzen“ beteiligen, sei sie zurückgepfiffen worden. Kanzleramt und Verteidigungsministerium hätten entschieden, den großen Druck von Teilen des Parlaments (Linkspartei) und der Öffentlichkeit „auszusitzen“.

Handelte die Regierung fahrlässig?

Für Kanzlerin Merkel ist der Bericht brisant. Im vergangenen Jahr ergab ein Gutachten für den Bundestag, dass Deutschland „völkerrechtswidrige Militäroperationen“, die „durch ausländische Staaten von deutschem Territorium“ aus begangenen werden, nicht hinnehmen dürfe. Andernfalls sei die Bundesregierung womöglich Komplize in einem Verstoß gegen das Völkerrecht – genauer: sie unterstütze damit fahrlässig extra-legale Tötungen, wie sie die weltweit umstrittenen Exekutionen via Drohnen aus Sicht europäischer Rechts-Experten darstellen. Strafrechtlich könnte es sich dabei um Mittäterschaft bei einem Mord oder um Beihilfe handeln.

Angehörige von US-Drohnen-Opfern im Jemen klagen unter diesem Aspekt seit vergangenem Herbst vor dem Verwaltungsgericht Köln. Sie fordern, dass die Bundesregierung den zentralen Datenfluss vor einem US-Drohnen-Einsatz über Ramstein ein für allemal unterbricht.