An Rhein und Ruhr. .

Der Schock sitzt tief. Piloten, Flugbegleiter, Mitarbeiter von Lufthansa, Germanwings und Flughafen legten vor der Germanwings-Zentrale in Köln Blumen, Kerzen und Stofftiere nieder. Etwa 400 Menschen sind gekommen, sie trauern um die Opfer von Todesflug 4U 9525. Zahlreiche Besatzungsmitglieder meldeten sich nach Angaben der Fluggesellschaft wegen der tiefen emotionalen Betroffenheit spontan flugunfähig. Dass sie aus Sorge um mangelhafte Sicherheit nicht zum Dienst erschienen, wies eine Lufthansa-Sprecherin zurück. Auch der Pilotenvereinigung Cockpit war dazu nichts bekannt.

Freiwillige von anderen Airlines

Germanwings hatte Mühe, den Flugplan einzuhalten. Dutzende Flüge wurden daraufhin ersatzlos gestrichen. Ausfälle gab es neben Düsseldorf und Stuttgart auch an den Flughäfen Köln, Berlin-Tegel und Leipzig/Halle. Gestern mussten elf Flugzeuge anderer Gesellschaften für 40 Flüge eingesetzt werden, weil sich die eigenen Crews als „unfit to fly“, als nicht flugtauglich erklärt hatten. Piloten und Besatzungsmitglieder anderer Airlines meldeten sich gestern, um sich als Ersatz anzubieten: „Sie sagten: Wir fliegen für euch“, erzählte Germanwings-Geschäftsführer Thomas Winkelmann.

An dem Verhalten seiner Mitarbeiter mag Winkelmann keine Kritik üben: „Die Crews sagen uns, dass sie aus emotionalen Gründen nicht fliegen wollen. Wir haben dafür volles Verständnis“, sagte er gestern in Köln. „Wir sind eine kleine Familie, und der Schock unter uns ist sehr groß.“

Katastrophen-Experten wissen, dass solche Ereignisse zuweilen traumatische Auswirkungen haben können, was die Einsatzfähigkeit vorübergehend beeinträchtigen kann, vor allem in einem so sensiblen Bereich wie der Luftfahrt. In der Fliegergemeinde herrscht überdies traditionell ein großer Zusammenhalt, was die Betroffenheit noch steigert. „Man muss sich klar machen, dass sich die Crews gut kannten, sie haben Kollegen verloren, das kann erschüttern“, sagt Oliver Gengenbach, Vorsitzender der Bundesvereinigung für Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen (SbE) in Witten. Sie gilt mit 70 Teams und rund 1000 Mitarbeitern als bundesweit größte Nachsorge-Organisation für Einsatzkräfte. „Zunächst herrscht nach solchen Vorfällen eine große innere Aufregung und emotionale Aufgewühltheit. Manche können nicht mehr schlafen, sich nicht konzentrieren. Dann muss man sie dabei unterstützen, wieder eine Struktur zu finden“, sagt Gengenbach. Gespräche könnten helfen, das Erlebte zu sortieren und zu ordnen.

Bei viele Fluggesellschaften, auch bei der Lufthansa, stehen in solchen Fällen Kriseninterventionsteams be­reit, die Passagiere und Crewmitglieder betreuen. Diese Einsätze werden als „Critical Incident Stress Management“ (CISM) bezeichnet. Zuständig für die CISM-Teams in der deutschen Luftfahrt ist die „Stiftung Mayday“, die ein Betreuungsnetz von Psychologen und Helfern geknüpft hat, das Piloten und deren Angehörigen in Notfällen zur Seite steht – eine Art „Erste Hilfe“ für psychisch belastete Besatzungen. Jährlich werden von der Stiftung rund 700 Piloten und Besatzungsmitglieder betreut. Und auch jetzt sind die Mayday-Helfer an den Flughäfen im Einsatz, haben Kontakt zu den geschockten Mitarbeitern, stehen als Ansprechpartner zur Verfügung.

Keine Sanktionen zu befürchten

„Es ist völlig normal, dass die Kollegen tief betroffen sind und nicht fliegen möchten“, sagt der Diplompsychologe Gerhard Fahnenbruck von der Stiftung Mayday dieser Zeitung. „So ärgerlich es sein mag: Es ist besser, ein Flugzeug bleibt am Boden, als mit einer nicht hundertprozentig einsatzbereiten Crew abzuheben.“

Fahnenbruck betont ausdrücklich, dass die Piloten keinesfalls aus Sorge um die Flugsicherheit am Boden bleiben wollten. Es sei Teil der Sicherheitskultur aller Airlines, dass nicht fliegen soll, wer sich nicht rundum wohl und fit fühlt. „Im Zweifelsfall soll kein Pilot ins Cockpit steigen müssen.“ Mit Sanktionen müssten sie nicht rechnen. „Sie haben die offizielle Freigabe, dass sie sich problemlos bei der Crew-Planung abmelden können.“