Berlin. Neuer Ärger bei der Linkspartei: Sahra Wagenknecht erklärt ihren Verzicht auf eine Kandidatur für den Fraktionsvorsitz. Wie geht es nun weiter?
Aus ihren Ambitionen hatte Sahra Wagenknecht kein Geheimnis gemacht, schon lange nicht mehr. Die Wortführerin des linken Parteiflügels der Linkspartei wollte Vorsitzende der Bundestagsfraktion werden. Am liebsten allein. Aber, wenn es denn sein muss, auch in einer Doppelspitze, zusammen mit Gregor Gysi. Bei 22 Jahren Altersunterschied - sie 45, er 67 - wäre klar gewesen, wer das länger macht.
Doch jetzt ist es mit den Plänen vorbei, fürs erste jedenfalls. Zur allgemeinen Überraschung erklärte Wagenknecht am Freitag, dass sie im nächsten Herbst, wenn die größte Oppositionsfraktion neu über ihr Spitzenpersonal entscheidet, gar nicht erst für den Top-Posten kandidieren will. Gysi informierte sie von der Entscheidung am Donnerstag vorab, wenn auch nur am Telefon.
"Sahra macht den Oskar"
Manche in Berlin fühlen sich nun an Wagenknechts Lebensgefährten Oskar Lafontaine erinnert, der bei der Linken Partei- und Fraktionschef war. In seinem früheren politischen Leben, im März 1999, hatte er im Streit mit SPD-Kanzler Gerhard Schröder Knall auf Fall die Ämter als SPD-Chef und Bundesfinanzminister niedergelegt. "Sahra macht den Oskar", hieß es am Freitag von verschiedener Seite.
Auch interessant
So stimmt das aber nicht - nicht nur, weil die heutige Angelegenheit gewiss nicht die Bedeutung von damals hat. Wagenknecht behält nicht nur ihr Abgeordnetenmandat im Bundestag, sondern auch den Posten als Gysis "Erste Stellvertretende Vorsitzende". Zumindest bis zur Wahl der nächsten Fraktionsführung, die vermutlich im Oktober oder November über die Bühne gehen wird. Für den Vizeposten, so heißt es in ihrer Umgebung, stünde sie auch darüber hinaus zur Verfügung.
Streit um Griechenland-Entscheidung
Ihren überraschenden Verzicht begründete Wagenknecht mit der jüngsten Griechenland-Entscheidung im Bundestag. "Ich halte es für einen strategischen Fehler, dass die große Mehrheit der Fraktion dem Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung des griechischen "Hilfsprogramms" zugestimmt hat." Dass sie zuvor in der Fraktion ihre eigene Entscheidung nicht einmal habe erklären dürfen - sie enthielt sich, wie neun andere Linke - sei ein "offener Affront" gewesen.
Wenn es denn so war, wäre dies eine ziemlich konsequente Entscheidung. Nicht alle in der Linken sind allerdings der Meinung, dass das der entscheidende Grund war. Einige Parteikollegen meinen bemerkt zu haben, dass Wagenknecht den Fraktionsvorsitz zuletzt nicht mehr so entschieden angestrebt habe. "Man kann seine Zeit auch anders verbringen: mehr Wert aufs Privatleben legen oder Bücher schreiben", sagt einer.
Vieles hängt von Gysi ab
In Wagenknechts Erklärung findet sich dazu nur der etwas merkwürdige Satz: "Ich bin überzeugt, dass ich politisch letztlich mehr bewege, wenn ich mich auf das konzentriere, was ich am besten kann." Was Gysi dazu veranlasste, nicht nur Respekt und Bedauern zu bekunden, sondern auch: "Entscheidend ist, wie sie erklärt, dass ihr die spezifische Leitungstätigkeit nicht liegt." Es gibt vermutlich Dinge, die man bei einem freiwilligen Verzicht lieber hört.
Und wie geht es nun weiter? Offiziell erklären nun alle Seiten, dass man sich nun in eine Zeit des Nachdenkens begeben wolle. Bislang ist nicht einmal klar, ob es an der Fraktionsspitze künftig einen oder zwei Vorsitzende geben wird. Ein Parteitagsbeschluss vom Mai 2014, wonach die Fraktion künftig wieder von einer Doppelspitze geführt wird, ist für die Abgeordneten nicht zwingend.
Nun hängt, wieder einmal, bei der Linken vieles von Gysi ab, der seit 2009 - seit Lafontaines Abgang - die Fraktion alleine führt. Seither hat sich der Kopf des pragmatischen Flügels mehrmals erfolgreich dagegen gewehrt, dass er eine Frau an seine Seite bekommt.
Offiziell hat sich Gysi noch nicht erklärt, ob er bleiben will. Auf die Frage, ob er abtreten werde, antwortete er kürzlich in einem Interview allerdings: "Wie kommen Sie denn auf so was? Ich bin doch topfit! Sie müssen mich noch fast ewig ertragen." Und dann verriet er auch: "Gehen Sie mal davon aus, dass ich spätestens mit 90 den Fraktionsvorsitz abgeben werde." Das wäre dann vielleicht in diesem Herbst, aber spätestens 2038. (dpa)