Moskau. Mord in Sichtweite des Kremls: Ein Attentäter hat den russischen Oppositionspolitiker Boris Nemzow in Moskau auf offener Straße hinterrücks erschossen. Das teilte die oberste russische Ermittlungsbehörde mit. Der frühere Vizeregierungschef galt als eine der schillerndsten Persönlichkeiten der russischen Opposition.
Das Verbrechen geschah in unmittelbarer Nähe des Kremls. Sowohl die Polizei als auch der Kreml gingen von einem Auftragsmord aus. Der 55 Jahre alte Nemzow war ein profilierter Gegner von Präsident Wladimir Putin.
Putin verurteilte den "brutalen Mord" ebenso wie US-Präsident Barack Obama. Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich bestürzt. Sie forderte Putin auf, "zu gewährleisten, dass der Mord aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden", teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, Nemzows Tod mache ihn "traurig und wütend".
Die russische Metropole genehmigte für diesen Sonntag überraschend eine Trauerkundgebung für 50 000 Menschen im Stadtzentrum. Die Initiative ging demnach vom Oppositionsführer und Ex-Regierungschef Michail Kasjanow aus. Er hatte mitgeteilt, dass die Opposition nach den Mord auf einen geplanten Marsch gegen Putin verzichten werde.
Der Kremlchef nannte den Mord eine politische "Provokation". Die Bluttat habe alle Anzeichen eines Auftragsmordes, sagte Putins Sprecher Dmitri Peskow. In einem Beileidstelegramm an Nemzows Mutter würdigte Putin die Verdienste des Politikers und sicherte zu, sich vehement für die Aufklärung des Verbrechens einzusetzen.
Der Friedensnobelpreisträger und Ex-Kremlchef Michail Gorbatschow warnte vor einer Destabilisierung der Lage in Russland. Die Situation ist angesichts des Ukraine-Konflikts gespannt. Nemzow gehörte zu den prominenten Wortführern der Opposition, die an diesem Sonntag in Moskau Tausende unzufriedene Russen auf die Straße bringen wollte. Nemzow hatte Putin eine Aggression gegen die Ukraine vorgeworfen.
Nach Kremlangaben beauftragte der Präsident die leitenden Mitarbeiter der obersten Ermittlungsbehörde, des Innenministeriums und des Inlandsgeheimdienstes FSB, die Ermittlungen persönlich in die Hand zu nehmen. Fernsehberichten zufolge fanden die Ermittler möglicherweise das Fluchtauto der Täter. Der TV-Sender Rossija 24 zeigte das weiße Fahrzeug mit einem Nummernschild der Teilrepublik Inguschetien, die im islamisch geprägten Konfliktgebiet Nordkaukasus liegt.
Zuletzt hatten Ermittler als einen von mehreren Ansätzen auch einen islamistischen Hintergrund nicht ausgeschlossen. Nach Darstellung der obersten Ermittlungsbehörde hatte es gegen Nemzow Drohungen gegeben, nachdem sich der Politiker nach dem Anschlag auf das Magazin "Charlie Hebdo" in Paris solidarisch mit den Franzosen gezeigt hatte.
Nemzow war am Freitag um 23.40 Uhr Ortszeit (21.40 MEZ) von hinten mit einer Pistole erschossen worden. Der Täter habe aus einem Auto sieben oder acht Schüsse auf Nemzow abgefeuert, sagte Sprecherin Jelena Alexejewa vom Innenministerium. Vier Kugeln trafen Nemzow in den Rücken. Am Tatort gebe es Videoüberwachung, die möglicherweise weitere Hinweise auf die Täter geben könnte, hieß es.
Der Regierungsgegner soll zuvor mit einer Bekannten über den Roten Platz spaziert sein. Die Frau, Medien zufolge eine 23 Jahre alte Ukrainerin, überlebte das Attentat. Nemzow galt als glühender Unterstützer der proeuropäischen ukrainischen Führung in Kiew. Dort äußerte sich Präsident Petro Poroschenko schockiert über den Mord. In Kiew legten Bürger in der Nacht Blumen vor das Gebäude der russischen Botschaft. Auch in Moskau lagen am Tatort Blumen und Kerzen.