Brüssel. In der Nato geht die Sorge um, dass Putin beim Imponiergehabe gegenüber dem Westen Russlands Stärke als Atommacht wieder zur Geltung bringen will.

Die Konfrontation mit Russland hat in der Nato ein Thema wieder dringlich werden lassen, das lange nur ein Routinepunkt war: Atom-Waffen. Wenn die Nato-Verteidigungsminister sich am Donnerstag treffen, werden sie sich in geheimer Sitzung („Nukleare Planungsgruppe“, tagt ohne Frankreich) mit einer beunruhigenden Entwicklung befassen: In den letzten Wochen verzeichnen die Polen, die baltischen Staaten und die dort bei der Luftraumüberwachung aushelfenden Verbündeten eine wachsende Anzahl von Osten anfliegender russischer Maschinen. Sie drehen erst kurz vor den Ost-Grenzen des Bündnis-Territoriums ab, mitunter sogar erst darüber.

Dabei wird aus Sicht der Nato-Verantwortlichen die Grenze zwischen konventioneller und atomarer Option absichtsvoll verwischt. Offensichtlich gehe es um die Botschaft: Achtung - Atomwaffen! Die Maschinen der Typen Backfire und Bear sind nämlich dafür ausgelegt, nukleare Marschflugkörper und Bomben zu tragen. Niemand bei der Allianz wagt sichere Prognosen, wie weit Putin das gefährliche Spiel treiben will.

Atomarsenal als Drohung

Die Atomwaffen gelten eigentlich als „politisch“. Soll heißen: Wie im Kalten Krieg sind sich beide Seiten darüber einig, dass Kernwaffen nicht eingesetzt werden dürfen. Sie dienen lediglich der Abschreckung, indem sie dem potenziellen Gegner deutlich machen: Der Versuch zu zerstören ist sinnlos, denn er würde mit der eigenen Zerstörung enden. Als Instrument in aktuellen Konflikten ist die Atomtechnologie hingegen tabu.

Oder war es. Denn nach den Befürchtungen der Nordatlantiker sind die Russen bei ihren Nadelstich-Einsätzen im Grenzgebiet zu Nato-Ländern dabei, das Atomarsenal als Drohung ins Spiel zu bringen. Dabei geht es nicht um strategische Systeme, die interkontinental einsetzbar sind, oder um Mittelstrecken-Waffen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5000 Kilometer, sondern um taktische Atombomben, die abgeworfen werden oder allenfalls kurze Distanz fliegen.

Nato beschränkt sich aufs Beobachten

Vorerst will sich die Nato auf genaue Beobachtung beschränken. Große Neuigkeiten werde es nach der Brüsseler Sitzung nicht geben, sagt der Nato-Botschafter der USA, Douglas Lute. Vorderhand gelten im Bündnis weiter die einschlägigen Grundpositionen. In ihrem Strategischen Konzept vom November 2010 hatte die Nato bekräftigt, dass sie sich auch in Zukunft auf einen Mix aus herkömmlichen und atomaren Waffen stützen wolle: „Die Abschreckung auf der Grundlage einer geeigneten Mischung aus nuklearen und konventionellen Fähigkeiten bleibt ein Kernelement unserer Gesamtstrategie.“ Anderthalb Jahre später erklärte der Nato-Gipfel in Chicago, man sei von einer Situation, in der ein Kernwaffen-Einsatz erwogen werden müsse„ „extrem weit entfernt“.

Schon im April 2009 hatte US-Präsident Barack Obama in Prag seine Vision von „Frieden und Sicherheit in einer Welt ohne Atomwaffen“ entwickelt. Die Vorstellung war in Deutschland besonders populär. In der Eifel lagern nach Darstellung des Stockholmer Friedenforschungsinstituts SIPRI am US-Stützpunkt Büchel immer noch rund 20 Atombomben des Typs B-61. Deren Abzug war ein Herzensanliegen des früheren Außenministers Guido Westerwelle.