Berlin. . Soli-Zuschlag, Pegida, Russland, Islam: Kanzlerin Merkel ist seit einiger Zeit auffallend bemüht, ihr Image als Zauderin zu korrigieren.

Justizminister Heiko Maas verließ die Bundestags-Debatte vorzeitig. Soeben hatte die Kanzlerin die Vorratsdatenspeicherung angekündigt. Die EU solle „zügig“ eine Richtlinie vorlegen, so Merkel, dann werde sie in deutsches Recht umgesetzt. Für die SPD wäre es kein großer Schritt, für ihren Minister Maas schon. Er sieht sich in der liberalen Tradition des Hauses, seit dem Anschlag von Paris warnt er vor „Aktionismus“. Und nun das.

Regierungserklärung im Bundestag in Berlin: Oft eine Pflichtübung, diesmal nicht. Es war es eine Positionsbestimmung. Kanzlerin Merkel redete Klartext, neun Punkte zum Kampf gegen den internationalen Terrorismus, etwa härtere Strafen, mehr Mittel für die Polizei, stärkere Zusammenarbeit der Geheimdienste, Zugriff der Fahnder auf die Fluggastdaten, Speicherung von Telekommunikationsdaten. Auf die zwei letzten Punkte will sie beim EU-Gipfeltreffen im Februar dringen. Der letzte Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung war höchstrichterlich auf nationaler und europäischer Ebene gescheitert.

Fordert Vorratsdatenspeicherung

Maliziös berief sich die Kanzlerin auf die SPD. Angesichts der „parteiübergreifenden Überzeugung“ aller Innenminister „sollten wir darauf drängen“. Landesinnenminister wie SPD-Mann Ralf Jäger aus NRW sind in der Frage der Vorratsdatenspeicherung in der Tat ihrem CDU-Amtskollegen Thomas de Maizière näher als Maas. Was Brüssel vorschlägt, will Merkel in Berlin durchsetzen. Der größte Widerstand ist im Bundesrat aus grün regierten Ländern zu erwarten. Denn im Bundestag verschieben sich die Kräfteverhältnisse zugunsten der inneren Sicherheit.

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Und noch eine Erkenntnis brachte die gestrige Debatte: In ihrer dritten Amtszeit macht Angela Merkel immer unverhohlener Gebrauch von ihrer Richtlinienkompetenz als Kanzlerin. Zwar stand Klartext am Anfang (zu Kohls Spendenaffäre) ihres Aufstiegs. Als Kanzlerin galt sie jedoch lange als Zauderin, die notorisch spät aus der Deckung tritt.

Eine neue Härte zeigt sich

Vorbei damit. Zuletzt stellte Merkel klar, dass sie nicht auf den Solidaritätszuschlag verzichten will; dass die DDR ein „Unrechtsstaat“ war; dass Russlands Präsident Putin internationales Recht „mit Füßen tritt“; dass der Islam zu Deutschland gehöre und die Bürger nicht dem Protest der Pegida hinterherlaufen sollen. Das sind lediglich Beispiele aus den letzten drei Monaten.

Eine Härte kommt bei Merkel zum Vorschein, die viele bisher nur intern erfahren durften, etwa die Ex-Minister Norbert Röttgen und Hans-Peter Friedrich bei ihren Ausbootungen. Die Härte geht mit Merkels neuer Bereitschaft einher, sich offensiver zu erklären.

Im Sommer 2012 hatte Bundespräsident Joachim Gauck im ZDF noch über Merkel gesagt, sie habe die Verpflichtung, detailliert zu beschreiben, was das Euro-Krisenmanagement bedeute. Die Politik würde manchmal zu wenig kommunizieren. „Manchmal ist es mühsam zu erklären, worum es geht“, manchmal fehle einfach die Energie, der Bevölkerung sehr offen zu sagen, „was eigentlich passiert“.

Mahnung an muslimische Geistliche

Über Gaucks Anteil an Kanzlerin Klartext kann man nur rätseln. Keine Spekulation ist, dass sich Merkel-Nachrichten zuletzt immer öfter mit dem Zusatz „überraschend deutlich“ ankündigten. Selbst eine Neujahrsansprache ist nicht länger unverbindlich und unverfänglich.

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Auch am Donnerstag umging Merkel keine harten Fragen. Warum islamistische Terroristen „ihre Untaten stets mit ihrem Glauben verbinden“, das müsse durch die „Geistlichkeit des Islam“ untersucht werden, forderte sie. Dieser Klärung „könne nicht länger ausgewichen werden“. Die meisten Bürger seien nicht mit dem Islam aufgewachsen, „ich selbst auch nicht“. Nun sei es wichtig, sich gegen diffuse Ängste zu stellen wie in Paris.

Der Protestmarsch dort hat Eindruck auf sie gemacht: „Es ist ein Meer von Freiheitsfreunden, die im Angesicht des Verbrechens Gemeinsamkeiten entdecken, vielleicht klarer als je zuvor. Ein Meer von Menschen, die sich aufrichten und sich nicht spalten lassen. Auch wir in Deutschland wollen uns nicht spalten lassen.“ Pathos probiert Merkel also auch. Klartext gelingt ihr aber besser.