Düsseldorf. . Die Dortmunder SPD-Frau Nadja Lüders leitet den NSU-Ausschuss in Düsseldorf. Für sie ist die aufwändige Aufarbeitung auch ein Signal an die Opfer.

Der NRW-Landtag rüstet sich mit einem nie dagewesenen Aufwand für Zeugenvernehmungen im parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU).

Für insgesamt 2,5 Millionen Euro muss ein Sitzungssaal des Düsseldorfer Abgeordnetenhauses zu einem abhörsicheren Tagungsort umgebaut werden. Zudem soll ein fensterloser Computer-Raum mit Übertragungstechnik ausgestattet werden, um dort V-Leute der Sicherheitsbehörden oder gefährdete Zeugen unerkannt befragen zu können. Riesige Aktenbestände müssen bis dahin digitalisiert und auf abschirmsicheren Computern gespeichert werden. „Das ist eine neue Dimension für den NRW-Landtag“, sagte die Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, Nadja Lüders (SPD).

Bis zur nächsten Landtagswahl 2017 wollen die Abgeordneten beleuchten, wie Behördenversagen in NRW vor allem die NSU-Anschläge in Köln (2001 und 2004) und den Mord am Dortmunder Kioskbesitzer Mehmet Kubasik (2006) begünstigt haben könnte. Auch der bislang ungeklärte Sprengstoffanschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn aus dem Jahr 2000 soll noch einmal beleuchtet werden.

Lüder hat mehr drauf als Revierromantik

Wer das Landtagsbüro von Nadja Lüders betritt, wird von Klischees erschlagen. Willy Brandts Porträt an der Wand, BVB-Fähnchen im Blumentopf, knallrote Besuchersessel. Lüders stammt halt aus Dortmund, führt dort den mitgliederstärksten SPD-Unterbezirk im Land, Brandts legendäre „Herzkammer der Sozialdemokratie“. Doch dass Lüders weit mehr drauf hat als Revierromantik, weiß man in Düsseldorf schon länger.

Die 44-jährige Rechtsanwältin ist Vize-Chefin der SPD-Landtagsfraktion und gilt als ebenso akribisch wie zupackend. Jetzt steht sie vor ihrer bisher größten Bewährungsprobe: Lüders leitet den Untersuchungsausschuss des Landtags zur NSU-Terrorserie.

Warum noch ein Untersuchungsausschuss? Immer wieder wird Lüders diese Frage gestellt. Sie hat sie sich am Anfang ja selbst gestellt. Der Bundestag und mehrere Landtage anderer Bundesländer haben versucht, die Abgründe des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) auszuleuchten. Der Strafprozess vor dem Oberlandesgericht München läuft seit 172 Verhandlungstagen. Wie sollen einfache Abgeordnete aus Verschlusssachen oder Zeugen herausholen, was nicht schon der Generalbundesanwalt herausgeholt hat?

Viele Ungereimtheiten bei den Taten in NRW

Für Lüders hat der Ausschuss eine symbolische und eine faktische Funktion. Sie findet ebenso wie ihre Abgeordnetenkollegen, dass man nach dem offenkundigen Behördenversagen auch im größten Bundesland den Opfern etwas schuldig ist. „Es hätte dem Landtag nicht gut angestanden zu sagen, wir warten mal ab, was die anderen so herausfinden“, sagt Lüders.

Sie glaubt aber auch an Erkenntnisgewinn. Der Bundestag hatte kaum Zeit, sich mit den Ungereimtheiten des NSU-Terrors in NRW zu befassen. Und die Münchner Strafkammer muss über individuelle Schuld urteilen, nicht über schlampigen Informationsaustausch oder Fehlschlüsse von Behörden.

Ungereimtheiten gibt es bei den NRW-Taten einige. Beim Sprengfallenanschlag in der Kölner Probsteigasse am 19. Januar 2001 etwa, bei dem die 19-jährige Mashia M. schwere Verbrennung erlitt. Vier Wochen zuvor hatte ein junger, blonder Mann im Laden des iranischstämmigen Djavad M. unter einem Vorwand einen Korb mit Einkäufen und einer präparierten Stollendose hinterlassen. Es gab ein Phantombild, aber kein Ermittlungsergebnis. Noch immer ist rätselhaft, wie der NSU ohne Unterstützer überhaupt auf das unscheinbare Geschäft in der Probsteigasse gekommen sein soll.

Schon früh richtete sich der Verdacht gegen Rechte

Fragen wirft auch der Nagelbombenanschlag in der Kölner Keup-straße am 9. Juni 2004 auf. Der Sprengsatz war an einem Fahrrad vor einem türkischen Friseursalon befestigt. Es gab Zufallsbilder einer Überwachungskamera, aber kein Ermittlungsergebnis.

Oder der Fall Dortmund: Als am 4. April 2006 der Kioskbesitzer Mehmet Kubasik mit zwei Kopfschüssen in seinem Laden getötet wurde, gab es vielversprechende Zeugenaussagen, denen offenbar nicht intensiv genug nachgegangen wurde.

Der Landtag will klären, warum Erkenntnisse der Behörden nicht weitergereicht oder falsche Schlüsse gezogen wurden. Nadja Lüders kramt einen Artikel der „Westfälischen Rundschau“ vom 7. April 2006 hervor, drei Tage nach der Ermordung des Dortmunders Kubasik. Der Autor spekulierte schon damals über Rechtsradikale als Täter und eine Verbindung zum Kölner Anschlag . Lüders: „Wir wollen wissen, warum in diese Richtung nicht intensiver ermittelt wurde.“

„Wir haben es ernsthaft versucht“

Der Aufwand für den Ausschuss ist ebenso groß wie die Aussicht zu scheitern. Wenn Akten aus dem Münchner Prozess eigens für die Parlamentarier aufbereitet werden, wenn Zeugen mit Personenschutz in abhörsicheren Räumen aussagen und Abgeordnete zweieinhalb Jahre kaum zu ihrer sonstigen Arbeit kommen, dann wächst die Erwartung an den Ergebnisbericht ins Unermessliche. Nadja Lüders scheint das nicht zu schrecken: „Wir müssen 2017 parteiübergreifend sagen können, wir haben es wenigstens ernsthaft versucht.“