Essen. Der Öl-Preis ist so billig wie seit fünf Jahren nicht. Das kurbelt die deutsche Volkswirtschaft an – wohl auch im kommenden Jahr.

Seit Monaten sind die Rohölpreise im freien Fall. Die rasante Talfahrt des nach wie vor wichtigsten Schmierstoffes der Weltwirtschaft wirkt hierzulande wie eine gigantische Konjunkturspritze. Die deutsche Volkswirtschaft wurde laut Experten bisher um einen zweistelliger Milliardenbetrag entlastet. Eine Bestandsaufnahme.

Kaufkraft wird gestärkt

Der Absturz des Ölpreises entwickelt sich nach Einschätzung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen zunehmend zu einer Stütze für die Konjunktur. „Der niedrigere Ölpreis wird wohl vor allem die Kaufkraft der privaten Haushalte und damit die privaten Konsumausgaben stärken“, heißt es in einer aktuellen Studie des Instituts.

Für 2014 und 2015 rechnen die Wirtschaftsforscher mit einem Wachstum von jeweils 1,5 Prozent. Ohne den verringerten Ölpreis müsste das Wirtschaftswachstum um etwa 0,4 Prozentpunkte niedriger angesetzt werden, sagte RWI-Forscher Roland Döhrn. Andere Experten rechen sogar damit, dass der starke Ölpreisrückgang die Inflation im Euroraum Anfang 2015 auf minus 0,5 Prozent drückt.

Verbraucher in Konsumlaune

Zwar kann man keinen direkten Zusammenhang zur Ölpreis-Flaute herstellen. Doch dass die Verbraucher etwas mehr Geld in der Tasche haben, weil Tanken spürbar billiger geworden ist, liegt auf der Hand. Jedenfalls scheint das Geld lockerer zu sitzen. Die Einzelhändler blicken voller Optimismus auf das wichtige Weihnachtsgeschäft. „Der Start ist geglückt. Das zeigen die ersten beiden Wochenenden“, sagte ein Sprecher des Einzelhandelsverbandes NRW.

Kommen die niedrigen Ölpreise komplett beim Verbraucher an?

Aktuell bewegt sich der Rohölpreis auf dem Niveau von 2009. Die durchschnittlichen Spritpreise lagen damals aber laut ADAC-Spritpreisbarometer um mehr als zehn Cent unter den heutigen Tankstellenpreisen. Aral weist darauf hin, dass für den Spritpreis nicht nur die Rohstoffpreise maßgebend sind. Der aktuelle schwache Euro dämpfe den Preisverfall, weil er den auf Dollar basierenden Einkauf des Rohöls teurer mache.

Auftrieb für die Luftfahrt

Weil der Ölpreis seit Monaten fällt, können Fluggesellschaften in diesem und im nächsten Jahr mit mehr Gewinn rechnen. Der internationale Luftfahrtverband IATA setzte in dieser Woche seine bisherige Gewinnprognose für die Branche für 2014 von 18 Milliarden auf 19,9 Milliarden US-Dollar (16,1 Mrd Euro) herauf. Im kommenden Jahr sollen die Profite dann um gut ein Viertel auf 25 Milliarden Dollar steigen.

In Europa muss die Branche auf den Gewinnschub aber wohl noch länger warten. Für 2014 senkte der Verband seine bisherige Prognose für Europa sogar von 2,8 auf 2,7 Milliarden Dollar. Grund: Der harte Preiskampf der großen Airlines mit Billigfliegern wie Ryanair und Easyjet drückt die Gewinne.

BP unter Druck

Wie allen Ölunternehmen macht den Briten, die ihre Europazentrale in Bochum haben, derzeit der niedrige Ölpreis zu schaffen. Der jüngste Sinkflug und die Abwertung des Rubels treffen das Unternehmen. BP ist zu fast einem Fünftel am größten russischen Ölproduzenten Rosneft beteiligt. Auf der anderen Seite können sich die BP-Tochter Aral, der deutsche Marktführer unter den Tankstellenbetreibern, über eine deutlich gestiegene Nachfrage an den Zapfsäulen freuen. „Die Leute fahren mehr Auto“, sagte ein Unternehmenssprecher.

Was ist mit dem Gaspreis los?

Die viel zitierte Ölpreisbindung beim Gas gibt es nicht mehr. Für Erdgas gibt es wegen der eingeschränkten Transportmöglichkeiten nicht wie bei Erdöl einen Weltmarkt, sondern nur regionale Märkte. Der Preis von Rohöl ist im Gegensatz dazu stärker abhängig von Spekulationen und weltpolitischen Entwicklungen. „Der Gaspreis ist stabil. Für 2015 haben bisher nur 66 von über 700 Grundversorgern eine leichte Preissenkung angekündigt“, so ein Sprecher des Vergleichsportals Verivox.

Was geschieht 2015?

Die Organisation erdölexportierender Länder (Opec) rechnet 2015 mit der schwächsten Nachfrage seit zwölf Jahren. Sie senkte ihre Bedarfsprognose. Analysten gehen davon aus, dass der „positive Ölpreis-Schock“ im kommenden Jahr noch anhält. Das RWI rechnet mit einem Durchschnittspreis von 70 US-Dollar pro Barrel. Langfristig wird Öl aber wieder teurer. „In absehbarer Zeit wird die Produktion nicht mehr Schritt halten können mit dem Verbrauch“, sagte der Hamburger Energie-Experte Steffen Bukold dieser Zeitung.