Essen/Erfurt. Bodo Ramelow ist neuer Ministerpräsident von Thüringen. Im zweiten Wahlgang ist der Linken-Politiker gewählt worden. Aktuelle Infos im Live-Blog.

Der Thüringer Landtag hat Bodo Ramelow zum bundesweit ersten Ministerpräsidenten der Linkspartei gewählt. Der 58-Jährige erhielt am Freitag im zweiten Wahlgang 46 von 90 gültigen Stimmen und damit die absolute Mehrheit. Die Koalition aus Linke, SPD und Grünen, die im Parlament in Erfurt nur eine Stimme mehr als die Opposition hat, stellte sich damit geschlossen hinter ihn. Es gab 43 Gegenstimmen sowie eine ungültige Stimme und eine Enthaltung. "Ich nehme die Wahl an", sagte Ramelow, der im Landtag vereidigt wurde.

Das erste derartige Dreierbündnis in Deutschland verdrängt die CDU von der Macht, die im Freistaat 24 Jahre lang den Regierungschef gestellt hatte. Einen Gegenkandidaten hatten die Christdemokraten, die bis zuletzt auf Abweichler im Ramelow-Lager hofften, nicht aufgestellt. Im ersten Wahlgang entfielen auf Ramelow nur 45 Stimmen - damit fehlte ihm eine Stimme aus dem eigenen Lager.

Historischer Machtwechsel ist umstritten

In seiner ersten Rede vor dem Plenum bedankte er sich für das Vertrauen in ihn. In Richtung der Opposition von CDU und AfD sagte er, trotz inhaltlichen Differenzen sei ihm viel an einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gelegen.

Der historische Machtwechsel in Thüringen ist umstritten. Gegen eine Regierungsverantwortung der Linken, die im Osten ihre Wurzeln in der SED-Nachfolgepartei PDS hat, hatten 25 Jahre nach dem Mauerfall unter anderem Bundespräsident Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Vorbehalte geäußert. In Erfurt hatten am Donnerstagabend 1500 Menschen vor dem Landtag gegen Rot-Rot-Grün demonstriert. In der Präambel des Koalitionsvertrags nennen die Bündnispartner die DDR einen Unrechtsstaat und versprechen eine Aufarbeitung der Geschichte.

Koalition plant kostenloses Kita-Jahr

Ramelow wollte noch am Freitag sein Kabinett berufen. In der neuen Regierung stellen die Linke vier, die SPD drei und die Grünen zwei Minister. Sie sollen das Regierungsprogramm für die nächsten fünf Jahre umsetzten: Der Koalitionsvertrag sieht unter anderem eine Gebietsreform, ein kostenloses Kita-Jahr und einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor vor. Er war von den Mitgliedern von Grünen und Linke mit großer Mehrheit bestätigt worden. Die SPD hatte ihre Anhänger nach den Sondierungen befragt.

Bei der Landtagswahl im September hatte die CDU von Ex-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht mit deutlichem Abstand die meisten Stimmen erhalten. Sie konnte die SPD aber nicht für eine Fortsetzung der nicht immer harmonischen schwarz-roten Koalition gewinnen. Stattdessen entschieden sich die Sozialdemokraten für die Koalitionsverhandlungen mit Linken und Grünen.

Erste Linker Regierungschef

Rot-Rot-Grün hat 46 Sitze im Thüringer Landtag. Die bisherige Regierungspartei CDU stellt 34 Abgeordnete und die rechtspopulistische AfD 11. Die Linkspartei regierte schon mehrfach in den Ostländern mit und ist derzeit auch an der Landesregierung in Brandenburg beteiligt. Allerdings stellte sie noch nie einen Regierungschef.

Linke, SPD und Grünen hatten seit der Landtagswahl Mitte September intensive Verhandlungen geführt und den Koalitionsvertrag von ihren Mitgliedern abstimmen lassen.

Es wäre allerdings nicht das erste Mal gewesen, dass ein Abweichler aus den eigenen Reihen einen Wahlerfolg verhindert. Denn die Wahl eines Ministerpräsidenten – das ist oft die Stunde der Enttäuschten und zu kurz Gekommenen. Da werden Denkzettel verpasst und alte Rechnungen beglichen.

Ein Blick auf große und kleine Wahlpleiten. 

Der Fall Heide Simonis

Die sozialdemokratische Regierungschefin von Schleswig-Holstein hatte nach der Landtagswahl 2005 ein Bündnis aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband (SSW) geschmiedet, das mit 35 Sitzen im Kieler Landtag exakt die für die Wahl nötigen Mindeststimmenzahl besaß. Aber: In vier geheimen Wahlgängen brachte es Simonis jeweils nur auf 34 Stimmen. Für sie, die bald darauf abtrat, war es das Ende ihrer politischen Karriere. Wer aus den eigenen Reihen ihr die Zustimmung versagte, ist bis heute nicht geklärt.

Der ausgebremste „Ochsensepp“

Wer glaubt, dass früher alles besser - weil ehrlicher - war, dem sei ein Blick ins Nachkriegsbayern empfohlen. Bei der Wahl des Ministerpräsidenten 1946 schickte die CSU, die die absolute Mehrheit hatte, ihren Vorsitzenden Josef Müller ins Rennen. Der „Ochsensepp“ galt als volkstümlich, war vielen in der Partei aber zu liberal. So organisierte der katholisch-konservative Parteiflügel eine Mehrheit gegen Müller - um nach dessen Scheitern im ersten Wahlgang mit Hans Ehard einen eigenen Mann ins Amt zu heben. Immerhin: Müller durfte Justizminister werden.

Andrea Ypsilantis Fehlstart

Die SPD-Frau aus Hessen schaffte es 2008 gar nicht erst bis zur Wahl im Landtag. Dort wollte sie sich zur Chefin einer rot-grünen Minderheitsregierung wählen und dabei von der Linkspartei tolerieren lassen. Und dies, obwohl Ypsilanti vor der Wahl jede Zusammenarbeit mit den Linken ausgeschlossen hatte. Die für den 4. November geplante Wahl Ypsilantis zur Ministerpräsidentin platzte frühzeitig, weil ihr am Tag zuvor vier Mitglieder der SPD-Fraktion die Gefolgschaft verweigerten. Bald darauf trat Ypsilanti von ihren Parteiämtern zurück. Die Neuwahl im Januar 2009 verlor die SPD krachend.

Wenn es trotzdem klappt

Nicht immer geht es für den Kandidaten schlecht aus, wenn der Start nicht ganz nach Wunsch verläuft. So musste CDU-Frau Annegret Kramp-Karrenbauer 2011 zwar zittern, als sie sich im Saarland zur Nachfolgerin von Peter Müller wählen lassen wollte; im ersten Wahlgang fehlte ihr eine Stimme aus den Reihen der „Jamaika“-Koalition von CDU, FDP und Grünen. In der zweiten Runde stimmten alle 26 Abgeordneten des Bündnisses für Kramp-Karrenbauer, gerade so viel wie sie brauchte.

Noch besser lief es im Februar 2013 für Stephan Weil in Niedersachsen. Die rot-grüne Koalition im Landtag hatte nur eine Stimme Mehrheit - und wählte schon im ersten Wahlgang den Sozialdemokraten zum neuen Ministerpräsidenten. Weil konnte loslegen.

Auch Rüttgers hatte Gegner im eigenen Lager

Als der Christdemokrat Jürgen Rüttgers 2005 mit seinem Wahlsieg die 39-jährige Regierungszeit der SPD im Düsseldorfer Landtag beendete, durfte er auf eine satte schwarz-gelbe Mehrheit setzen. Dass ihm bei seiner Wahl zum Regierungschef zwei Abgeordneten aus Koalitionsreihen die Zustimmung versagten, konnte er gelassen wegstecken.