Essen. . Zwei renommierte Hygieniker fordern in einem Aktionspapier mehr Infektionsschutz im Krankenhaus. Patienten sollen erfahren, worauf sie sich einlassen.
Führende deutsche Krankenhaushygieniker fordern weitreichende Maßnahmen für einen besseren Schutz vor Infektionen in Kliniken. So sollen „nur noch speziell ermächtigte Ärzte“ künftig Reserveantibiotika verordnen dürfen. Risikobereiche wie Intensivstationen oder OP-Säle sollen ausschließlich durch fest zugeordnetes, qualifiziertes Personal gereinigt werden. Und Krankenhäuser sollen mehr Mittel zur Sanierung erhalten.
Der WAZ liegt ein Aktionspapier vor, das zwei renommierte Experten zusammengestellt haben: Prof. Walter Popp, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), und Prof. Klaus-Dieter Zastrow, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Hygieniker (BDH). Zum Schutz der Patienten fordern sie das gläserne Krankenhaus: Hygienemängel, die im Zuge unangemeldeter Klinikkontrollen auffallen, sollen von den Gesundheitsämtern im Internet veröffentlicht werden.
Die Forderungen der Experten im Einzelnen:
Meldepflichten für alle multiresistenten Erreger (MRE)
MRSA soll künftig – wie Masern, Mumps, Typhus oder Cholera – zu den meldepflichtigen Krankheiten gemäß §6 Infektionsschutzgesetz (IfSG) zählen. Alle MRSA-Fälle müssten dann an die zuständigen Behörden gemeldet werden. Heute sind lediglich MRSA-Infektionen, also Nachweise der Bakterien im Blut und im Rückenmark von Patienten, meldepflichtig. Sogenannte MRSA-Kolonisationen, Besiedlungen der Hautoberfläche mit dem Keim, sind es nicht. Sie werden bislang nicht erfasst.
Dabei sind Patienten mit MRSA-Bakterien auf der Haut doppelt gefährdet: Einerseits können sie den Keim auf MRSA-freie Menschen übertragen. Andererseits kann bei Keimträgern jede kleine Hautwunde zu einer Infektion führen, die für Kleinkinder, alte und abwehrschwache Patienten lebensgefährlich verlaufen kann.
Labormeldepflichten nach §7 IfSG sollen künftig für Krankheitserreger gelten, gegen die kaum noch Antibiotika wirken. Dazu zählen sogenannte 4MRGN-Erreger, die gegen alle vier Antibiotikastämme resistent sind, außerdem Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE) sowie toxin-bildende Stämme des Bakteriums Clostridium difficile.
Bessere Überwachung durch Gesundheitsämter
Mehrfach unangemeldete Kontrollen im Jahr durch die zuständigen Gesundheitsämter sollen die Krankenhaushygiene überprüfen. Vor allem in „infektionsrelevanten Risikobereichen“. Sensible Zonen wie Intensivstation, Onkologie, Frühgeborenen-Station, Kreißsaal, Geburtshilfe, Endoskopie und Herzkatheter-Labor sollen ohne vorherige Ankündigung auf den Prüfstand kommen. Die Ergebnisse der unangemeldeten Begehungen sollen ausgewertet und jährlich von den Gesundheitsämtern veröffentlicht werden. „Das sind Informationen, die von großem Interesse für den Patienten sind, weil seine Gesundheit daran hängt“, sagt Hygieniker Zastrow.
Beschränkung der Reserveantibiotika-Verordnung
Nur noch „speziell ermächtigte Ärzte“ sollen Reserveantibiotika verordnen dürfen. Reserveantibiotika sind die letzte Hoffnung für Patienten: Medikamente, die so sparsam einzusetzen sind, dass sie im Zweifel gegen Keime wirken, die gegen andere Antibiotika längst resistent sind. Nur wer eine spezielle Schulung, einen sogenannten ABS (Antibiotic Stewardship) Kurs, durchlaufen hat, dürfe befugt sein, Reserveantibiotika zu verordnen.
Generelles MRSA-Screening in Krankenhäusern
Vor der Aufnahme in eine Klinik soll jeder Patient auf MRSA untersucht werden. Ein PCR-Schnelltest soll den Keimstatus ermitteln. Dies ist gängige Praxis und elementarer Bestandteil des Infektionsschutzes in den Niederlanden, der als europaweit führend und vorbildlich gilt. Nach dem Untersuchungsergebnis, das binnen einer Stunde vorliegt, richtet sich der weitere Weg des Patienten. MRSA-Träger werden isoliert und vom Keim befreit, damit sie sich und weitere Patienten nicht gefährden.
Mehr qualifizierte Pflege
Der Abbau von 50.000 Stellen in der Pflege seit 1996 bei gleichzeitig ständig steigenden Patientenzahlen soll zurückgedreht werden. Die Experten fordern eine gesetzliche Vorgabe des Patienten-Personal-Schlüssels. Auf Intensivstationen müsse „mindestens eine Pflegekraft auf zwei Patienten“ kommen – und zwar „in allen Schichten“. Bei Patienten mit besonders kritischen Krankheitsbildern, etwa bei Schwerverbrannten, sei „eine 1:1-Betreuung anzustreben“.
Mehr Gelder für Krankenhaussanierung
„Die Länder müssen ihrem Auftrag zur Krankenhausfinanzierung nachkommen“, fordern die Experten. Der Bund müsse sie bei Bedarf unterstützen. Krankenhäuser sollen Mittel zur Sanierung erhalten. Bei Klinik-Neubauten soll der Einzelzimmer-Anteil bei 50 Prozent liegen. Ganz wichtig seien „große Neonatologie-Zimmer, in denen der Abstand von zwei Metern zwischen Betten und Inkubatoren eingehalten werden kann“.
Verbesserung der Reinigung
Zur Reinigung der Risikobereiche soll ausschließlich fest zugeordnetes Personal befugt sein. „Wer die Basishygiene von Intensivstationen und OP-Sälen herstellen soll, muss sich dort genau auskennen“, sagen die Experten. Für insgesamt sauberere Krankenhäuser müsse die vorgegebene Flächenleistung für Reinigungskräfte verringert werden.
Lehrstühle für Hygiene
An allen medizinischen Universitäten sollen Lehrstühle für Hygiene geschaffen werden. Gerade in Nordrhein-Westfalen seien diese abgebaut worden beziehungsweise sei der weitere Abbau geplant, bemängeln die Experten.
Reform des Robert-Koch-Instituts (RKI)
„Das Robert-Koch-Institut muss gründlich reformiert werden“, fordern Popp und Zastrow unisono. In Sachen Infektionsschutz gebe es im RKI „derzeit eine geringe Bereitschaft, sich mit den Thematiken vorwärtsweisend auseinanderzusetzen“. Als Beispiel kritisiert Popp die „beharrliche Weigerung, die Empfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) ins Englische zu übersetzen“. Dies sei der „automatische Verzicht auf jede Einflussnahme in Europa, obwohl die anderen Länder unbedingt an den deutschen Regelungen interessiert sind“. Zeitgemäß sei eine „stärkere Konzentration auf Europa, zum Beispiel Vergleiche mit anderen Ländern durch systematischen Austausch“.
Keimausbrüche öffentlich machen
Ausbrüche von meldepflichtigen Erregern in Krankenhäusern sollen nicht, wie 2013 zum Beispiel nach zwei VRE-Ausbrüchen mit Todesfolgen im Uniklinikum Düsseldorf geschehen, der Öffentlichkeit verschwiegen werden. Solche Ereignisse müssten offiziell im Internet verbreitet werden, um Patienten einen Überblick über mögliche Gefahrenherde zu geben. Ein denkbares Forum für transparente Keiminformationen könnten „die Internet-Seiten der zuständigen Gesundheitsämter“ sein, regen die Experten an.