Essen. . Die Zahl der gefundenen Blindgänger stieg in den vergangenen Jahren rapide - ebenso die Kosten für die Räumung der Kampfmittel. NRW und seine Kommunen werden in den kommenden Jahrzehnten etliche Millionen dafür aufbringen müssen. Aber der Bund weigert sich, seinen finanziellen Anteil aufzustocken.

Viersen wird sich lange an diese Nacht erinnern. Am 18. September 2012 musste Sprengmeister Dieter Daenecke mitten in der City der niederrheinischen Stadt eine 125 Kilo schwere Bombe in die Luft jagen, weil der Zünder beschädigt schien. Ein Hochrisiko-Job. Fassaden an den umliegenden Wohnhäusern und Geschäften gingen kurz vor Mitternacht zu Bruch. Niemand kam zu Schaden, denn 10.000 Menschen waren zuvor evakuiert worden.

Der Vorgang hat wieder gezeigt: Nordrhein-Westfalen ist ein gefährliches Pflaster. Im Zweiten Weltkrieg sind 50 Prozent der alliierten Bombenabwürfe auf das Reichsgebiet in der Region zwischen Rhein und Weser eingeschlagen. 70 Jahre später reißen die Blindgänger-Funde nicht ab.

Auch die Kommunen müssen zahlen

Ende September musste bei Bochum die A 40 komplett gesperrt werden. Und erst im Januar war bei Euskirchen eine Weltkriegsbombe explodiert. Ein Baggerfahrer kam dabei ums Leben. Was aber auch zählt: Das Land NRW und seine Städte und Gemeinden müssen wohl noch Jahrzehnte viele Millionen Euro für Suche, Sicherung und Entschärfung der nicht explodierten Sprengköpfe von Blindgängern aufbringen.

Das ist endgültig klar, nachdem die Bundesregierung jetzt die Beteiligung an den Kosten für die steigende Zahl von Munitionsräumungen deutlich wie nie zuvor abgelehnt hat. Zwar fürchten Experten, dass im Erdreich bundesweit noch zehntausende Bomben und Minen liegen. Das Bundesumweltministerium weist aber mit dem Fingerzeig auf die bisherige „Staatspraxis“ einen Bundesrats-Antrag strikt zurück, Kriegsfolge-Lasten grundsätzlich als Bundessache zu betrachten. In den letzten 25 Jahren sind die Länder schon mehrfach mit dem Versuch gescheitert, eine Neuregelung zu erreichen. Berlin kommt nur für übrig gebliebene „reichseigene“ Munition auf. Die zu beseitigen kostet in NRW gerade 1,3 Millionen Euro.

Die Zahl der gefundenen Bomben steigt - die Kosten dafür ebenso

Dagegen muss NRW für die Räumungen seinerseits im Jahresschnitt 17 Millionen Euro zahlen. Die Tendenz ist steigend. 2013 wurden 11.831 Kampfmittel gefunden – fast doppelt so viel wie 2012. 228 Bomben mussten geräumt, fünf davon – wie die in Viersen – vor Ort gesprengt werden. Immer öfter fürchten Bauherrn zudem Munition auf ihren Baustellen und alarmieren die Behörden. Gab es 2012 erst 14.635 dieser Alarmierungen, waren es schon 17.555 im letzten Jahr.

Derzeit modernisiert NRW für viel Geld den Munitionszerlegebetrieb in Hünxe, einer von zweien im Land. Zu den Landeskosten addieren sich aber noch die der Kommunen. Sie zahlen für den Einsatz ihrer Feuerwehr, für Sperrungen und für notwendige Evakuierungen.

In der Antwort auf eine Grünen-Anfrage begründet das Bundesumweltministerium die Absage damit, dass die Kosten der Beseitigungen bei einer Übernahme durch den Bund zunehmen könnten – denn die Länder würden dann bei der Räumung nicht mehr sparsam vorgehen.

Giftgas vor der deutschen Küste

Noch weit heftiger wirkt die Weigerung der Bundesregierung, für Kriegsfolgelasten mehr einzustehen, hoch im Norden. Der Bund hat den Küstenländern klargemacht, dass es nicht zu der von Experten geforderten großflächigen Munitionsräumung vor den Stränden der Nord- und Ostsee kommt. Nur bei akuter Gefahr sollen Kampfstoffe beseitigt werden.

Vor den deutschen Küsten liegen nach einer Schätzung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Munition im Meer“ 1,6 Millionen Tonnen Granaten, Minen und Bomben - darunter vermutlich etliche mit Giftgas aus dem Weltkrieg. 2013 gab es nach eigenen Angaben der Bundesregierung bei einer gerade eingerichteten zentralen Meldestelle in Cuxhaven immerhin 148 neue Fundmeldungen.

In den letzten Jahren sind vor allem an der Ostsee bei Kiel und auf Rügen und Usedom Einheimische und Urlauber durch gestrandete Munition schwer verletzt worden.