Oberhausen.. Ehrenamtliche Tierschützer helfen Amphibien über die Straße. Schutzzäune sollen verhindern, dass Kröten und Frösche überfahren werden.


Die Kröte an sich ist nicht so für Veränderungen. „Die geht auch nach Jahren zurück an den Teich, in dem sie Kaulquappe war“, weiß Silke Hingmann vom Naturschutzbund (Nabu) in Oberhausen. Nur ist der Weg zum Laichgewässer meist lang, langsam und lebensgefährlich. Weshalb überall im Ruhrgebiet in diesen Tagen wieder Tierschützer der Kröte über die Straße helfen. Die Krötenwanderung, ein Ostermarsch.

Sie sind spät dran in diesem Jahr, einen Monat bald schon im Verzug, es war zu kalt. Aber nun: mehr als zehn Grad, Regen, Krötenwetter! An solchen Tagen, „guten Tagen“, wie Horst Kristan sagt, finden sie manchmal 100 Frösche, Kröten, Molche, mehr als 1000 in jedem Frühling. Es dämmert am Rand des Hiesfelder Waldes, aus dem Dickicht schreit das Käuzchen, die Singdrossel trällert ihr Abendlied.

Silke Hingmann steht bereit, feste Schuhe, Taschenlampe, roter Eimer. Gemacht für Curry-Ketchup, Marke „Siggi“, aber statt Ketchup ist jetzt Kröte drin. Die erste um halb neun: über die Böschung gepurzelt, durchs Laub geraschelt – und vor den Zaun gelaufen.

Ein Blatt auf dem Kopf zur Tarnung

Mehrere Hundert Meter grünen Schutzzaun haben die Leute vom Nabu vor Hünenberg- und Franzosenstraße gespannt, mit Heringen befestigt, alle zig Meter einen Eimer in der Erde versenkt. Hier soll der liebestrunkene Lurch stranden und warten, bis er eingesammelt wird. Zwei, drei nimmt Silke Hingmann vorsichtig hoch, einer trägt ein welkes Blatt auf dem braunen Kopf. Schon stapeln sie sich im Plastikbehälter, stellen sich auf die Hinterbeine: kleine Kraftprotze, die so breitbeinig wie vergeblich zum Ausgang streben und empört fiepen. Sie ahnen ja nicht, dass der Eimer der Bus ist, sozusagen.

Oberhausen, 30.03.2018. Helfer und Naturfreunde helfen den Kröten und stellen Fangzäune auf, oder sammeln sie ein. Im Bild Silke Hingmann. Foto: Ralf Rottmann/ Funke Foto Services
Oberhausen, 30.03.2018. Helfer und Naturfreunde helfen den Kröten und stellen Fangzäune auf, oder sammeln sie ein. Im Bild Silke Hingmann. Foto: Ralf Rottmann/ Funke Foto Services © Unbekannt | Funke Foto Services






Jemand meldet „einen Doppelten!“, heißt: Vor Eiern dicke Dame trägt einen willigen Herrn auf ihrem Rücken. Für seine Füße hat die Natur eigens „Brunftschwielen“ entwickelt, er wird vom Weibchen nicht weichen, im Eimer nicht und im Tümpel nicht. „Doppeldecker“ nennen sie diese Duos; „die Männchen“, erklärt Silke Hingmann, „bespringen alles, was nach Frosch aussieht“. Auf ihrer Suche wandern sie jedes Jahr, was das Weibchen gar nicht schafft: „Das legt Tausende von Eiern, eine Wahnsinnsproduktion.“

Den neuen Teich, vor Jahren angelegt für die Amphibien in Oberhausen-Nord, haben die Kröten so gut angenommen, dass es dort jetzt „sehr voll“ ist – Gruppensex, gewissermaßen. Aber auch das macht den Männchen nichts, die hocken gern zu zweit auf einer Frau. Weshalb es vorkommt, dass sie untergeht. Dabei soll der Tod ja gerade verhindert werden, aber die Ehrenamtlichen können nur zu Lande eingreifen. Was aber, wenn das Tier nun am Zaun vorbei . . .? „Hat es Pech gehabt“, sagt Horst Kristan.

Dann wird es „plattgefahren“, weil an der Hünenbergstraße bald jeder schneller fährt als 30 und außerdem der Bus 954. Und weil die Kröte, um zu sterben, nicht einmal unters Auto kommen muss, der Sog allein reicht. Deshalb gilt jede erstmal als gerettet, die kalt, feucht, faltig erst in der Hand und dann im Eimer sitzt. Wie sie später zurückkommt, ist allerdings ihre Sache, „aber dann hat sie wenigstens abgelaicht“, sagt Silke Hingmann. Und zwar dort, wo die Menschen das für sie vorgesehen haben. Als Amphibie darf man auch nicht mehr lieben, wo man will. Die Kröte muss die Kröte schlucken.

Frösche legen Eier in die Pfütze

Der Schutzzaun hält die Amphibien auf, damit sie nicht überfahren werden.
Der Schutzzaun hält die Amphibien auf, damit sie nicht überfahren werden. © Unbekannt | Funke Foto Services

Der Frosch ist da schmerzfreier, „der laicht auch im Entwässerungsgraben“, oder, wie dort am Waldrand, in einer Pfütze. Da schwimmen die Laichklumpen wie großzügig portionierter Kaviar im Modder. (Die Kröte reiht ihre Eier an Schnüren, wickelt sie gern ums



Wassergras.) Welcher werdende Frosch den Frost aber überlebt hat, wird sich erst zeigen. Manches Tier, das schon Anfang März unter Ausschluss der engagierten Öffentlichkeit wanderte, scheiterte an der Eisschicht auf den Teichen.

An der Straße gehen sie jetzt zum vierten Mal die Zäune ab, sie werden noch suchen und sammeln bis in die Nacht und am nächsten Morgen wiederkommen, die Nachzügler aufzulesen. Sie sind zehn Leute vielleicht, die sich 14 Dienste in der Woche teilen, „das nimmt ja kein Ende“, sagt Horst Kristan, der bald 81 wird. Trotzdem findet er: „Zuhause kann ich sitzen, wenn ich mit dem Hintern nicht mehr hochkomme.“ Es geht ihm um die Natur und „die Generationen, die noch kommen“. Der Menschen, der Amphibien aber auch. Und Wilfried van de Sand sagt: „Nur eine kleine Sache, aber man tut was Gutes.“

Es ist bald zehn, da klingt aus dem Tiefdunkel des Forstes ein fettes „Platsch“. 20 in Kristans Notizbuch säuberlich katalogisierte Kröten sind aus dem Ketchup-Topf ins Wasser geplumpst. Im Licht der Taschenlampe strampeln sie, die gerade noch wandern wollten, klammern sich ans Ufer des Tümpels und schauen aus großen Knopfaugen, wenn man das so interpretieren darf, etwas erstaunt: Schon da? Das ging jetzt schnell.

INFO: AUCH DIE STÄDTE KÜMMERN SICH

In vielen Städten begleiten Amphibienschutz-Gruppen des Nabu die Krötenwanderung. Meist von Anfang März bis Mitte April stehen die Schutzzäune.

In Bochum und Herne arbeitet die Stadt mit Freiwilligen zusammen. Hier werden jährlich bis zu 15 000 Amphibien gezählt. In Essen oder Mülheim werden extra Straßen gesperrt.