Essen. Im großen Stil hatte der 42-Jährige Karnaper laut Anklage Landsleute aus dem Nahen Osten eingeschleust. Vor dem Landgericht Essen gab er einen Teil der Taten zu und kassierte dafür vier Jahre Haft.
Sieben Prozesstage hatte die XVII. Strafkammer für den komplexen Prozessstoff angesetzt. Doch nach Rechtsgesprächen einigten sich die Prozessbeteiligten am ersten Tag auf das Urteil in einem Verfahren, das einen kurzen Einblick in das Geflecht internationaler Schleuserbanden gewährte.
Im Mittelpunkt des Prozesses stand Abdul O., ein Libanese, der seit vielen Jahren in Deutschland lebt. Schon 2002 war er in Osnabrück wegen des Einschleusens von Ausländern verurteilt worden. Seine Abschiebung scheiterte bisher an fehlenden Papieren, heißt es. Eigentlich muss er sich ausländerrechtlich in Osnabrück aufhalten, tatsächlich lebt er bei Frau und sieben Kindern in Karnap. Er soll von Februar 2008 bis August 2009 über einen Verbindungsmann im Libanon Libanesen, Syrer, Palästinenser, Iraker und Marokkaner in die EU, vor allem nach Deutschland geholt haben. Sie starteten von Flughäfen im Nahen Osten und landeten in Paris. Dort wurden sie von Verwandten abgeholt. Im Schnitt zahlten die Flüchtlinge 6 000 Euro.
Dafür soll die Gruppe um Abdul O. Blanko-Aufenthaltstitel der Stadt Solingen sowie ein gefälschtes Dienstsiegel der Stadt Düsseldorf genutzt haben. Hatte die Anklage noch davon gesprochen, dass die Solinger Aufenthaltstitel bei einem Einbruch erbeutet wurden, wies O. das vor Gericht zurück. Staatsanwalt Jörg Menard fand das plausibel. Denn im Ermittlungsverfahren war bekannt geworden, dass früher gegen einen Mitarbeiter der Solinger Ausländerbehörde ermittelt worden war, weil dieser Formulare verkauft haben soll. Mangels Beweis war das Verfahren damals eingestellt worden. Neue Ermittlungen gegen ihn wurden gestoppt, weil er vor wenigen Wochen verstarb.
Dass Abdul O. nicht nur von Schleusungen und Sozialhilfe lebte, deutete das Ergebnis der Hausdurchsuchung bei ihm an. Da fanden die Fahnder Zigaretten und Wasserpfeifentabak ohne gültige Steuerbanderole, aber auch Medikamente und Markenartikel. Ein entsprechendes Strafverfahren, so die gestrige Absprache, wird die Staatsanwaltschaft aber mit Blick auf die aktuelle Verurteilung einstellen.
Staatsanwalt Jörg Menard betonte in seinem Plädoyer, dass Abdul O. Verbindungsmann einer Organisation im Nahen Osten sei, die „gravierende Straftaten“ begeht. Er ordnete sie im Bereich der Organisierten Kriminalität ein. Verteidiger Klaus Rüther hob hervor, dass der Angeklagte auch Verwandte aus Gefälligkeit geschleust habe.
Das Gericht folgte exakt dem Antrag des Staatsanwaltes. Allerdings setzte es den Haftbefehl gegen Abdul O. außer Vollzug. Der Angeklagte habe sicher eine harte Zeit in der U-Haft gehabt, betonte Richter Bernd Koß. So habe das Essener Gefängnis jede die U-Haft nur etwas erleichternde Verfügung des Vorsitzenden missachtet, kritisierte er die Anstalt. Ob das Abblocken der JVA nur eine Reaktion auf das Verhalten von Abdul O. war? Der hatte nämlich unter nicht geklärten Umständen ein Handy in seine Zelle geschmuggelt und soll von dort aus versucht haben, das Geschäft weiter zu führen und Zeugen unter Druck zu setzen. Was er nicht wusste: Die Polizei hörte mit. Die Handy-Nummer kannte sie noch von den Ermittlungen.