Essen. Joe Bausch war Deutschlands prominentester Gefängnisarzt und ist bekannt als Gerichtsmediziner Dr. Joseph Roth aus dem Kölner ARD-„Tatort“.
Mehr als 30 Jahre war Joe Bausch in der Haftanstalt in Werl medizinisch verantwortlich für Häftlinge mit Sicherungsverwahrung, also Kriminelle, die auch nach Absitzen ihrer eigentlichen Haftzeit nicht gleich in Freiheit kommen. Mörder, Gewalttäter und andere Schwerstkriminelle. Bausch geht es in den zwölf Geschichten in seinem Buch nicht zuletzt um die Frage nach Sinn und Erfolg der Resozialisierung als Kernanliegen der Strafjustiz: „Warum klappt es nicht, wenn doch das Ziel ist, nach Verbüßung der Strafe einen besseren Menschen wieder ins Leben zu entlassen?“ Bausch reflektiert die Veränderungen im Verlaufe der Jahrzehnte, die Zunahme der unterschiedlichen Nationalitäten in deutschen Gefängnissen, wie auch der Drogendelikte.
Vor ernstem Hintergrund erzählt er seine Geschichten, teils skurril, teils drastisch, mal ironisch, mal sarkastisch und er wirft die Frage auf, ob es mehr Psychopathen im Knast oder eher außerhalb der Gefängnismauern gebe. Es gebe Situationen, „da ist kein Sprechen mehr, da muss geliefert werden“, schreibt Bausch und erzählt in der Geschichte mit dem Titel „Sixpack“ die ziemlich heftige Geschichte eines Insassen, der Mitgefangene heftig drangsaliert, bis nichts mehr geht, so dass er von diesen im Kraftraum mit seinen Hanteln übel zugerichtet wird. „Und natürlich hat niemand was gesehen, Zeugen gab es auch nicht.“
Joe Bausch wollte unbedingt ins Gefängnis
Bei seiner „Gangsterblues“-Lesereise weiß Bausch seine Zuhörer bestens zu unterhalten. Etwa mit der Geschichte, wie er einmal versuchte, selbst im Knast zu landen. Das war in Marburg, wo Bausch Theaterwissenschaft, Politik, Germanistik und Rechtswissenschaften studierte – das Medizinstudium folgte erst im Anschluss in Bochum. Er erhielt einen Strafzettel, bezahlte ihn aber nicht. Bausch: „Ich wollte stattdessen zehn Tage im Knast absitzen. Aber da kam und kam nichts. Also bin ich abends persönlich hingegangen, um dort zu bleiben. Die Beamten prüften die Sache und schickten mich wieder weg. Meine Mutter hatte den Strafzettel inzwischen bezahlt.“
Joe Bausch, der 1953 als Hermann Joseph Bausch-Hölterho zur Welt kam ist, wuchs auf dem elterlichen Bauernhof im hessischen Teil des Westerwaldes auf. Als Erstgeborener sollte er den Hof eines Tages übernehmen, doch schon früh wurde dieser Plan durchkreuzt – durch den Hausarzt der Familie. „Er riet meinen Eltern, mich aufs Gymnasium zu schicken. Mein Vater drohte später immer wieder damit, dass ich wieder auf dem Hof lande, sollte ich auch nur einmal sitzen bleiben.“
Auf dem Land fühlte sich der Junge durchaus wohl. Er hatte Spaß am Traktorfahren und genoss seine behütete Kindheit und Jugend. Damals war er noch weit weg vom Prototypen des kernigen drahtigen Kerls gewesen, der ihn heute so unverwechselbar macht. Joe Bausch zu Jugendzeiten, das war ein schüchterner Bursche mit langen roten lockigen Haaren, erzählt er. Es zog ihn bald auf die Theaterbühne, er jobbte zusätzlich, zunächst als Kabelhelfer, später dann als Aufnahmeleiter beim WDR. Dass es eines Tages den Arzt Joe Bausch geben würde, ahnte er zu diesem Zeitpunkt selbst noch nicht. "Ich wohnte in Marburg mit drei Medizin-Studenten in einer WG und dachte mir eines Tages: Was die können, kann ich auch – auswendig lernen.“
Joe Bausch: Filmkarriere, Knastalltag und Hilfe für Straßenkinder
Als Bausch 1986 in der JVA Werl Anstaltsarzt wird, hat er schon eine Rolle in dem Kino-„Tatort“ „Zahn um Zahn“ an der Seite von Götz George gespielt. Bis heute folgten an die 80 Auftritte in „Tatort“-Folgen. Seine Zeit in Werl beschrieb er in dem 2012 erschienen Buch „Knast“. Im November 2018 ging der heute 68-Jährige als Anstaltsarzt in den Ruhestand. Unvergessen ist ihm der inhaftierte Patient, der einen Hammer haben wollte, um die Zeit totzuschlagen.
Ebenso lebendig ist die Erinnerung an seine Anfangszeit. Die Häftlinge seien gut auf ihren neuen Doc zu sprechen gewesen. Sie wussten, dass er in TV-Serien wie „Der Fahnder“ häufig den Bösewicht gespielt hat. Daraufhin zählten seine Patienten schnell eins und eins zusammen: „Für sie war ich einer von ihnen.“ Tatsächlich gibt es feine Unterschiede zwischen den Inhaftierten. „Typen, die wie Litfaßsäulen aussehen und genauso bunt tätowiert sind, sind mir noch die Liebsten. Schlimm sind die Kleinen, Typ Berti Vogts.“
„Tatort – Straßen der Welt“
Aber da sind, natürlich, auch die dunklen Seiten des Knastalltags: „Das Misstrauen beherrscht alles.“ Suizide, Selbstverstümmelungen, Gewaltausbrüche, Erpressungsversuche kämen immer mal wieder vor. Zwiespältig ist seine Einstellung zu Senioren hinter Gittern, speziell wenn sie unter Demenz leiden. Bausch: „Einer sprach mal davon, dass er hier in einem so schönen Heim sei. Wir lachen darüber, aber vielen geht es im Knast tatsächlich besser.“
Damit es anderen Menschen besser geht, die nicht so viel Glück gehabt haben wie er, ist Joe Bausch viel unterwegs. „Tatort – Straßen der Welt“ ist ein Verein, den er gemeinsam mit den Kölner „Tatort“-Kollegen Dietmar Bär und Klaus Jürgen Behrendt gegründet hat, nachdem die Crew bei einem „Tatort“-Dreh in Manila das Elend der Straßenkinder dort kennengelernt hatten. Bausch: „Auch wenn man die Sprache nicht versteht, war das schlimm, sie schreien und heulen zu hören.“ Er habe auch Gefängnisse mit bis zu 9000 Insassen besucht. „Kinder im Knast zu sehen, das war besonders heftig.“ In 20 Jahren des Bestehens des Vereins seien rund 4,5 Millionen Euro für die Straßenkinder in der philippinischen Hauptstadt zusammengekommen. Für Joe Bausch ist es „unser Herzensprojekt“.