Düsseldorf. Seit dem Jahr 2018 wird beim LKA in NRW eine Datei aufgebaut, die helfen soll ungeklärte Mordfälle zu lösen. Ein Besuch beim Chef-Profiler.
Diese drei ungelösten Kriminalfälle beschäftigen die Justiz und Polizei an Rhein und Ruhr schon seit Jahren. Seit über fünf Jahren wird Pierre Pahlke aus Essen vermisst. Am 17. September wird der damals 21-Jährige, der eine geistige Behinderung hat und in der Heimstatt Engelbert lebt, zwischen 19.15 und 20 Uhr zuletzt in einem Discounter-Markt auf der Langemarckstraße in Essen gesehen. Danach verliert sich bis heute jede Spur von ihm. Die Polizei geht von einem Gewaltverbrechen aus, Freunde und Familie hoffen, dass er noch lebt.
Anfang Juni 2010 verschwindet in Gelsenkirchen die damals 44 Jahre alte Polizistin Annette Lindemann. Ihr schwarzer Mercedes-Van vom Typ Viano wird vier Wochen später brennend in einem Waldstück bei Mark entdeckt. Die Polizei verdächtigt den Ehemann der vierfachen Mutter, doch trotz intensiver Ermittlungen und mehrerer Suchaktionen gibt es laut Staatsanwaltschaft keine Beweise dafür, dass Annette Lindemann umgebracht wurde.
Chef-Profiler des LKA: "Wir sind Fallanalytiker"
Claudia Ruf ist elf, da wird sie 1996 in Grevenbroich von einem Unbekannten entführt. Zwei Tage nach ihrem Verschwinden wird ihre Leiche entdeckt. Der Täter hat das Kind vergewaltigt, erdrosselt und angezündet. Über 20 Jahre gibt es keine heiße Spur, seit Anfang des Jahres aber verfolgen die Ermittler einen neuen Ansatz in dem Mordfall. Mehr sagen sie aus taktischen Gründen bisher nicht dazu.
Er hat sich daran gewöhnt dass man ihn Profiler nennt. Chef-Profiler. Aber Andreas Müller, Erster Kriminalhauptkommissar beim Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf, würde sich selbst nie so bezeichnen. „Fallanalytiker“, sagt er. „Wir sind Fallanalytiker.“ Für aktuelle Verbrechen, seit gut zwölf Monaten aber auch für die alten. Für die, die bisher nicht gelöst werden konnten und die Cold Cases genannt werden. 900 von ihnen sollen nach und nach noch einmal unter die Lupe genommen werden.
Denn Mord verjährt nie. Am Morgen des 28. Juni 2008 werden Edith S. (85) und ihre Tochter Roswitha C. (59) tot in ihrem Haus in Dortmund-Eving gefunden. Von den 20.000 Euro, die sie kurz zuvor von der Bank geholt haben, um neue Fenster zu bezahlen, ist die Hälfte verschwunden. Die Polizei verhört Freunde, Nachbarn und Verwandte, setzt Spürhunde ein, sichert DNA-Spuren, doch bis heute gibt es keine Spur von den mutmaßlich zwei Tätern. „Es ist ein Fall, der uns hier in Dortmund noch immer auf den Nägeln brennt, sagt Henner Kruse, Sprecher der Staatsanwaltschaft Dortmund. Deshalb haben die Mordermittler alle Unterlagen zusammengesucht und zum LKA geschickt.
Tatort, Tatzeit, Opfer: Alles wird zunächst digitalisiert
Dort werden sie zunächst einmal digitalisiert und mit Tatzeit, Tatort, Opfer, Alter, Motivlagen und Spuren in ein Fallbearbeitungssystem übertragen. Schon das, sagt Müller, erleichtere die Arbeit. Denn auf das, was digital vorliegt, kann viel leichter zugegriffen werden. Wo Akten bisher Tage unterwegs waren, brauchen E-Mails nur noch Sekunden – egal wohin. So kann Müller die Falldaten seinen Kollegen in der „Operativen Fallanalyse“ (OFA) zukommen lassen.
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Sechs Männer und drei Frauen gehören zu seinem Team – alle erfahrene Mordermittler, alle mit jahrelanger Spezialausbildung und unterstützt von einem dicht geknüpften Netzwerk aus Technikern, Sprengstoffexperten, IT-Spezialisten, Psychologen und Naturwissenschaftlern. Gemeinsam mit den Mordermittlern entscheiden sie, ob es sich lohnt, in einem Fall wieder Ermittlungen aufzunehmen. „Der Fall muss Potenzial haben“, sagt Müller. Am besten klare Mordmerkmale, schon wegen der ansonsten möglicherweise eintretenden Verjährung. Und je höher die Chance auf Aufklärung, je niedriger der Aufwand, desto eher sagen die Profiler und zuständigen Mordermittler: „Versuchen wir es.“
Wohlwissend, dass die Ermittlungen zu wiederaufgenommen Altfällen jederzeit durch aktuelle Ereignisse unterbrochen werden müssen. Cold Cases müssen sowohl im LKA als auch in den Kriminalhauptstellen neben dem aktuellen Tagesgeschäft bearbeitet werden.
Expertise der Profiler ist gefragt
Wenn sie kommen, die Männer und Frauen der OFA, dann, „weil die Kollegen vor Ort eine neutrale Prüfung der bisherigen Einschätzungen aus heutiger Perspektive wünschen“. Profiler übernehmen nicht, sie unterstützen, arbeiten zu. Sie geben keine Befehle, sie geben Ratschläge, sind die zweite Meinung, die gerne eingeholt wird.