Essen. . Seit 30 Jahren berichtet Stefan Wette aus den Gerichtssälen - und seit fast einem Jahr gibt es dazu den Podcast “Der Gerichtsreporter“.

Welcher war der spektakulärste Prozess über den Sie berichtet haben und warum?

Stefan Wette: In 30 Jahren als Gerichtsreporter habe ich zahlreiche spektakuläre Prozesse erlebt. Sei es der um den feigen mörderischen Brandanschlag von vier jungen Rechten in Solingen, das Gladbecker Geiseldrama oder in Hessen die Verfahren gegen Monika Weimar, die ihre kleinen Kinder ermordet hatte. Aber besonders ist mir ein Prozess am Landgericht Essen in Erinnerung. Eine Gruppe deutscher Hooligans hatte 1998 bei der Fußball-EM im französischen Lens den Gendarmen Daniel Nivel halb tot geschlagen. Vier Hooligans, die nach Deutschland geflüchtet waren, mussten sich in Essen verantworten.

"Es ist der schönste Beruf vonne janzen Welt." Stefan Wette, Journalist, Gerichtsreporter.

Da wurde der Unsinn deutlich, Menschen nach ihrer Nationalität einzuordnen. Denn all die bürgerlichen Zeugen aus Frankreich - Feuerwehrleute, Sanitäter, Polizisten, Ärzte und Angehörige von Nivel - waren dem Gerichtsreporter viel näher als all die Hooligans als Zeugen, die von der Schuld der Angeklagten und ihrer eigenen Verstrickung ablenken wollten. Eingeprägt hat sich mir das Verfahren auch, weil ich die Ehefrau des Opfers zu einem handschriftlichen Brief an die WAZ-Leser bewegen konnte. Ein Dokument der Versöhnung, ein Handschlag unter rechtstreu lebenden Europäern.

Hatten Sie als Gerichtsreporter in einem Prozess mal das Gefühl, dass das Gericht ein Fehlurteil gefällt hat?

Stefan Wette: In 90 oder sogar 95 Prozent der Fälle, die ich erlebt habe, konnte ich die Urteile mittragen. Aber es gibt natürlich Fehlurteile, bei denen ich dabei war. Zwei inhaftierte Angeklagte bedankten sich bei mir, weil meine Artikel zu ihrem Freispruch geführt hatten. Und der Freispruch für Monika Weimar bei ihrem Wiederaufnahmeverfahren in Gießen, der gegen jede Logik verstieß. Da habe ich in der Zeitung kommentiert, dass sich offenbar die beiden Schöffinnen gegen die drei Berufsrichter durchgesetzt hatten. Im Revisionsprozess in Frankfurt wurde sie dann zu Recht wegen Mordes an ihren Kindern schuldig gesprochen.

Üben Verbrechen, bei allem Leid und Schaden, den sie erzeugen, auch so etwas wie eine Faszination auf Sie aus?

Stefan Wette: Eindeutig nein, Verbrechen faszinieren mich nicht. Was mich immer wieder fasziniert, ist das Leben von Menschen, ihre Motive, ihre Reaktionen. Das kann der Angeklagte sein, aber auch das Opfer. Oder der Richter, der Staatsanwalt, der Verteidiger. In 30 Jahren habe ich viel über Menschen gelernt, oft hinter ihre Fassaden blicken dürfen. In meiner Arbeit versuche ich, das dem Leser weiterzugeben. Auch das ist faszinierend.

Komplizierte Sachverhalte so herunter zu brechen, dass sie der juristische Laie versteht und der Jurist nicht den Kopf schüttelt. Bürger und Justiz haben ja ein Recht darauf, dass die Arbeit der dritten Gewalt kompetent vermittelt wird. Und wenn es nötig ist, etwa bei Monika Weimar, muss auch Kritik geübt werden. Das alles ist das Faszinierende an der Arbeit des Gerichtsreporters.

PODCAST: Der Gerichtsreporter

In dem Podcast „Der Gerichtsreporter“ geht es um die spannendsten Verbrechen aus ganz NRW: Stefan Wette und Brinja Bormann arbeiten echte Fälle und ihre Hintergründe noch einmal spannend und seriös auf. Das Verbrechen als Zeitgeschichte, der Mord als Ausdruck gesellschaftspolitischer Entwicklungen. Und all das aufbereitet als ein Stück Spannung. Ganz Nordrhein-Westfalen bietet den Stoff, aus dem Gerichtsreporter Stefan Wette und Moderatorin Brinja Bormann ihre Beiträge beziehen. Die Grundlage ihrer Arbeit ist klar: Den beiden geht es nicht um billige Effekte. Seriös und subtil gehen sie den Dingen auf den Grund, loten die Tiefen menschlicher Abgründe aus und vernachlässigen keineswegs die Not der Opfer. Aber auch die Täter haben ein Recht auf Erklärung.

Stefan Wette ist „Der Gerichtsreporter“.
Stefan Wette ist „Der Gerichtsreporter“. © C/O Red | c/o RED

Immer montags alle zwei Wochen erscheint eine neue Podcast-Folge, bei der die Hörerinnen und Hörer zwischen 20 und 30 Minuten Spannung pur erwartet: In der vielleicht dramatischsten Folge „Leben, töten, sterben“ geht es um Jürgen Bartsch, den Adoptivsohn eines Essener Metzger-Ehepaares. Er schrieb Rechtsgeschichte als Serienmörder der 60er-Jahre. Die Presse nannte ihn „den Kirmesmörder“ und den „Teufel in Menschengestalt“.

Vielgehörte Folgen sind auch: „Tödlicher Babybrei“ - darin geht es um den Milupa-Mörder, „Ein Leben im Versteck“ schildert das Schicksal des entführten Aldi-Gründers und „Ein Mann, zwei Gesichter“ handelt vom sogenannten Vampir von Düsseldorf, einem Frauenmörder der 20er-Jahre.

Abrufbar ist der Podcast über Spotify, Apple Podcasts, Audio Now und Deezer sowie über: www.waz.de/gerichtsreporter