Gladbeck. . Das Gladbecker Geiseldrama hielt 1988 Deutschland in Atem. Drei Menschen starben. Polizei, Politik und Presse gerieten massiv in die Kritik.
Wo heute ein Blumenladen steht, da begann vor mehr als 30 Jahren eines der spektakulärsten Verbrechen der Nachkriegszeit in Deutschland: das Gladbecker Geiseldrama. 54 Stunden voller Verzweiflung, Sensationsgier, Medien- und Polizeiversagen nehmen am Morgen des 16. August 1988 in Gladbeck im Ruhrgebiet ihren Lauf:
Mit Maschinenpistolen bewaffnet überfallen Hans-Jürgen Rösner (damals 31) und Dieter Degowski (damals 32) im Stadtteil Rentfort-Nord eine Deutsche-Bank-Filiale und nehmen zwei Angestellte als Geiseln. Wenig später umstellt die Polizei die Filiale. Die Gangster geben ein erstes Telefon-Interview. Der Blumenladen, in dem sich früher die Bankfiliale befand, liegt an der Ecke einer heruntergekommenen Einkaufspassage im „Geschäftszentrum Nord“. Früher einmal gab es dort viele Geschäfte, jetzt stehen die meisten Läden leer. Die Bankfiliale wurde sofort nach der Tat geschlossen.
Eine Augenzeugin der Ereignisse erzählt, dass sie damals in einem Hochhaus gleich nebenan lebte. Von ihrem Wohnzimmerfenster aus konnte die Frau in den Innenhof sehen. „Wir hörten laute Stimmen und haben dann geguckt.“ Sie habe selbst gesehen, wie ein Polizist nur in Unterhose bekleidet das geforderte Lösegeld vor die Eingangstür legte. Die Bankräuber besteigen mit 420.000 D-Mark einen bereitgestellten Fluchtwagen.
Die spektakuläre Flucht beginnt
Noch in Gladbeck lassen die Gangster Rösner und Degowski ihre Komplizin Marion Löblich zusteigen. Die Flucht geht Richtung Norden, Polizei und Journalisten bleiben ihnen auf den Fersen. Mehrfach erpressen die Gangster neue Wagen, bevor sie am Mittwochabend an einer Haltestelle in Bremen-Huckelriede einen Nahverkehrsbus mit 32 Fahrgästen kapern. Fünf Geiseln werden noch am Abend wieder freigelassen.
Wenige Stunden später an der Autobahn-Raststätte Grundbergsee dürfen auch die Bankangestellten gehen. Als die Polizei Löblich überwältigt und vorübergehend festhält, tötet Degowski den 15-jährigen Italiener Emanuele de Giorgi mit einem Kopfschuss. Auf dem Weg zum Einsatzort verunglückt ein Polizeiwagen. Der 31-jährige Polizeiobermeister Ingo Hagen stirbt, ein weiterer Beamter wird schwer verletzt.
Journalisten machen sich zu Mittätern
Am frühen Donnerstagmorgen rollt der Bus bei Bad Bentheim über die niederländische Grenze und stoppt etwa fünf Kilometer dahinter. Im Austausch gegen ein neues Fluchtauto werden fast alle Geiseln freigelassen. Nur mit zwei jungen Frauen setzt das Trio seine Fahrt fort. Am Vormittag erreichen die Verbrecher Köln.
Im Gespräch mit Journalisten auf offener Straße, mitten in der Fußgängerzone, drohen sie, „zu allem entschlossen“ zu sein. Richtung Frankfurt fahren sie am Mittag davon. Für kurze Zeit fährt sogar ein Kölner Journalist mit, er zeigt den Flüchtigen den Weg aus der Kölner Innenstadt zur Autobahn.
Silke Bischoff stirbt im Kugelhagel
Auf der A3 bei Bad Honnef dann das Ende: die Polizei rammt das Auto um kurz vor 14 Uhr. Es kommt zu einer Schießerei. Die 18 Jahre alte Silke Bischoff wird dabei von Rösner getötet. Neben der Autobahn erinnert heute eine Gedenkstätte an die junge Frau. In Bremen ist am Busbahnhof Huckelriede ein Erinnerungsort an das Geiseldrama geplant.
Live ausgestrahlte Fernseh- und Radiointerviews des Trios, an seiner Seite Geiseln in Todesangst, hatten die Nation am Verbrechen teilhaben lassen. Schon während der Geiselnahme entbrannte in Deutschland eine heftige Diskussion über Grenzen journalistischer Berichterstattungspflicht. Der Presserat legte später fest, dass es Interviews mit Tätern während des Geschehens nicht geben darf. Der Polizei wurde vor allem vorgeworfen, die Geiselnahme nicht schon viel eher bei mehreren Gelegenheiten beendet zu haben. Die Polizeibehörden überarbeiteten grundlegend ihre Einsatztaktik.
Rudolf Esders führte als Vorsitzender Richter den Strafprozess gegen Rösner, Degowski und Löblich. Der Jurist erzählte einmal von dem im August 1989 begonnenen Prozess, der im März 1991 endete. Etwa von dem Tod Emanuele di Giorgis, der sich im Bus schützend vor seine Schwester gestellt hatte.
„Er war Degowski negativ aufgefallen, weil er nicht unterwürfig genug war.“
Degowski habe immer gesagt, das sei ein Versehen gewesen. Esders glaubte ihm nicht: Der Schuss wurde aus zehn Zentimetern Entfernung abgefeuert. „Wenn man eine Kanone in der Hand hat, spürt man Macht und will die ausleben. Macht verführt.“ In dem Prozess werden Rösner und Degowski im März 1991 zu lebenslanger Haft verurteilt, Rösner mit anschließender Sicherungsverwahrung. Degowskis lebenslange Haft wurde 2017 zur Bewährung ausgesetzt.
Im Februar 2018 wurde er aus der Haft entlassen- mit neuer Identität, die ihm Anonymität nach der Haft ermöglichen soll. Rösner hat ebenfalls einen Antrag auf Entlassung gestellt. Löblich, zu neun Jahren Haft verurteilt, hat ihre Strafe längst abgesessen. Auch sie bekam eine neue Identität.