Duisburg. . Sie sind bekannt geworden als “die Mafia-Morde von Duisburg“ - und stellten die Ermittler in Deutschland und Italien vor eine Mammutaufgabe.
Bahnhofsviertel. Das klingt nach Rotlicht, nach Spielhallen und Kaschemmen. Für die Mülheimer Straße in Duisburg gilt das nicht. Jedenfalls nicht in Höhe des Klöcknerhauses, das längst „Silberpalais“ heißt. Unternehmensberatungen haben hier ihren Sitz, Notare und Ärzte. Die Fassaden sind gepflegt, die Bürgersteige sauber. „Eine ruhige Gegend“, sagt ein Anwohner. Bis zur Nacht vom 14. auf den 15. August 2007. Es ist ein Dienstagabend in der Pizzeria „Da Bruno“.
Geschlossene Gesellschaft, kleiner Kreis. Mit den Brüdern Marco (19) und Francesco P. (21) aus Duisburg, Sebastiano S. (38), Francesco G. (16) und dem 25-jährigen Marco M. feiert Azubi Tommaso-Francesco V. in seinen 18. Geburtstag hinein. Es wird spät. Erst gegen 2.10 Uhr schließen die sechs Männer das Lokal von außen zu. 20 Minuten später sind sie tot, liegen blutüberströmt und von Kugeln durchsiebt in zwei Autos, deren Motoren noch laufen.
Lichtblitze, zwei Männer in Kapuzen-Shirts flüchten
„Hier standen die Autos“, sagt Heinz Sprenger der ehemalige Leiter der Mordkommission „Mülheimer Straße“, als er zehn Jahre später wieder an derselben steht. Das „Da Bruno“ gibt es schon damals längst nicht mehr. Auch der einstige Chefermittler Sprenger („Der wahre Schimanski“, so der Titel seines Buchs über die Arbeit als Ermittler) lebt heute nicht mehr, er starb im April 2019 nach einem Herzinfarkt beim Radfahren auf Mallorca. Natürlich hätten seine Leute damals alles angesehen, was die Geräte aufgezeichnet haben in der Tatnacht von Duisburg und den Tagen zuvor, erinnerte sich Sprenger später: „Terrabyte an Daten.“ Lichtblitze sehen die Ermittler, auch zwei Männer von hinten, die in Kapuzen-Shirts flüchten. Und Schemen eines Autos.
Bei einer Analyse der Scheinwerferoptik wird der Hersteller eines Fluchtwagens bestimmt, mit Hilfe eines Fotomessverfahrens die genaue Größe der Täter ermittelt. Eine Straße im Sichtfeld einer Kamera wird mehrmals nachts gesperrt, damit die Polizei dort mögliche Szenarien nachstellen kann. Jeder Hausbewohner im Umfeld wird befragt, jede Zigarettenkippe aufgelesen und jede Handyverbindung aus den Funknetzen der Umgebung geprüft, ob in der Tatnacht Telefonate in Richtung Italien stattgefunden haben. Dies ist nur eine von 5000 Spuren, die es für das Team abzuarbeiten gilt.
Bis zu 140 Leute arbeiten an diesem Fall
In der Spitze sind bis zu 140 Leute mit diesem Fall beschäftigt. Darunter auch italienische Ermittler. Spezialisten des Bundeskriminalamtes machen sich auf den Weg nach Duisburg. Sie hatten über Jahre alle Informationen zur ‘ndrangheta gesammelt. Am Tag nach der Tat wird entschieden, dass die Zuständigkeit für den Fall bei der Duisburger Mordkommission bleibt und nicht zum LKA oder BKA verlagert wird. Sechs Tote vor einer Pizzeria, „klar denkt man da sofort an die Mafia“, erinnerte sich Sprenger. Trotzdem hat er in alle Richtungen ermitteln lassen. „Hätte ja auch ein Eifersuchtsdrama sein können.“ War es aber nicht: Italienische Kollegen stufen das Verbrechen als Teil einer Fehde rivalisierender Clans ein, die seit 1991 andauert. Die „Vendetta von San Luca“. Die Pelle-Romeo gegen die Strangio-Nirta. Beide gehören der ‘ndrangheta an, der kalabrischen Mafia.
Zwei Wochen später gibt es einen Verdächtigen. Giovanni Strangio. Bei einem Wochen zuvor in Italien abgehörten Telefongespräch hat er angekündigt, nach Deutschland zu reisen, um den Tod der Frau seines Clan-Chefs zu rächen. Weihnachten 2006 ist sie vor ihrer Haustür erschossen worden. Die Mordkommission nimmt die Spur auf. Sie findet Strangios DNA in einer Düsseldorfer Wohnung und Monate später auch in dem schwarzen Renault Clio, den Überwachungskameras in der Tatnacht nahe der Pizzeria gefilmt haben. Strangio selbst finden sie zunächst nicht. Die Fahnder hatten ihn in den Niederlanden vermutet.
Erste Spuren führen die Ermittelnden nach Amsterdam
Dort können sie 2008 zunächst seinen Schwager Giuseppe Nirta festnehmen. Der schweigt zwar eisern, doch in seiner Wohnung finden die Ermittler Hinweise auf Francesco Romeo, einen weiteren Schwager Strangios. Er führt sie unwissentlich zum Unterschlupf des Gesuchten in Amsterdam. Zusammen mit niederländischen Kollegen stürmen Sprenger und seine Leute die Wohnung, finden Strangio, seine Frau und seinen kleinen Sohn im Wohnzimmer.
Gegenwehr gibt es nicht, aber jede Menge gefälschte Ausweispapiere, eine Waffe und 500.000 Euro in bar. „Mit Pizzabacken verdient“, will Strangio dem Einsatzkommando weißmachen. Weil die beteiligten Behörden zum Schluss kommen, dass es das Beste sei, das Verfahren in Italien durchzuführen, werden alle Festgenommenen ausgeliefert. Beide Schützen erhalten lebenslange Haftstrafen. Strangio und Nirta sitzen heute im Gefängnis, werden dort wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens bleiben.