Essen. Millionen hat eine Bande aus ehemaligen Schulfreunden mit cleveren Coups im Ruhrgebiet erbeutet. Tipps aus der Geldtransporter-Branche halfen.

Drei Männer. Eine Idee. Und der feste Vorsatz, nie Straftaten zu begehen, bei denen es weniger als 100.000 Euro zu erbeuten gab. Für jeden der drei Schulfreunde aus dem nördlichen Ruhrgebiet galt diese Mindestgrenze, sagt die Anklage gegen sie. Und so entstand im Sommer 2016 nach Erkenntnis von Kripo Recklinghausen und Staatsanwaltschaft Essen eine „100.000-Euro-Bande“, die innerhalb kürzester Zeit rund 2,6 Millionen Euro kassierte. Meist ohne Gewalt und dank einer ausgeklügelten Planung. Ab dem 15. Oktober müssen sich sechs Männer und eine Frau vor dem Landgericht Essen verantworten. 20 Prozesstage hat die VII. Strafkammer geplant.

Rechtsanwalt Hans Reinhardt: „Das war perfekt organisiert.“
Rechtsanwalt Hans Reinhardt: „Das war perfekt organisiert.“ © Handout | Handout

„Das war perfekt organisiert“, weiß Rechtsanwalt Hans Reinhardt, dessen Mandant Ahmad A. (43) aus Recklinghausen erst später zu der Gruppe stieß und nach seiner Festnahme bei der Polizei ausgepackt hatte. Reinhard fühlt sich bei den Taten an „Die Gentleman bitten zur Kasse“ erinnert. Das war die TV-Verfilmung der legendären britischen Posträuber aus den 60er Jahren des vorherigen Jahrhunderts.

Insiderwissen aus der Geldtransporterbranche

Auf Geldtransporter hatte sich laut Anklage die jetzt beschuldigte Gruppe um Rodrigues S. (25), Kesser J. (25) und Housein El K. (26) aus Marl und Recklinghausen spezialisiert. Akribische Planung zeichnete ihre Arbeit aus, stellten die Ermittler fest. Nicht nur, dass die Gruppe mögliche Tatorte intensiv ausgespäht haben soll. Sie nutzte auch das Insiderwissen des Angeklagten Ahmad A., der damals bei einer in Recklinghausen ansässigen Firma für Geldtransporte arbeitete.

Von ihm kamen die Tipps, räumt er selbst ein. 2017 nahm die Gruppe sich die Zentrale der im Münsterland und im nördlichen Ruhrgebiet bekannten Supermarktkette „K+K“ in Gronau vor, sagt die Anklage. Dort holte die Recklinghäuser Securityfirma regelmäßig die Einnahmen ab.

Transporter mit falschem Logo manipuliert

Die Gruppe um Rodrigues S. fand wohl Spaß an dem Slogan der Kette, der im Volksmund verbreitet ist. Da steht „K+K“ für „Komm & Klau“. Sie besorgte sich, so die Anklage, ein baugleiches Fahrzeug der Marke VW, versah es mit dem Logo der Geldtransporterfirma und nutzte die Kenntnis der üblichen Abholprozedur.

Mit einer Magnetfolie bekam der VW das Logo der echten Geldtransporterfirma.
Mit einer Magnetfolie bekam der VW das Logo der echten Geldtransporterfirma. © Handout | Polizei

So kamen die Männer in entsprechender Uniform am 19. Dezember 2017 nach telefonischer Ankündigung bei der Supermarktzentrale in Gronau an. Einnahmen in Höhe von 1,8 Millionen Euro bekamen sie ausgehändigt, quittierten sogar den Empfang der Summe. Dann fuhren sie weg, bevor die echten Fahrer mit dem Geldtransporter kamen. Keine Gewalt, kein Tropfen Blut.

Originalschlüssel öffnet Geldautomat: 254.000 Euro Beute

Ein halbes Jahr zuvor räumte die Gruppe bei der Postbank Werne einen Geldautomaten leer. Beute: 254.000 Euro. Mit roher Gewalt musste sie sich nicht abgeben. Denn Tippgeber Ahmad A. war bei seinem Sicherheitsunternehmen als Störfallhelfer tätig. So besaß er einen Notfallkoffer mit 30 Schlüsseln zum Öffnen von Geldautomaten. Den für die Postbank Werne stellte er mit dem entsprechenden Sicherheitscode seinen Freunden gerne zur Verfügung, gestand er.

Insiderwissen half ihnen auch in Dortmund, wo sie am 10. November 2016 einen Geldtransporter vor dem Stadthaus um 521.372,51 Euro erleichtert haben sollen. Das Auto war zum Auffüllen von Geldautomaten reichlich mit Bargeld bestückt. Hinzu kam der Tipp von Ahmad A., dass nur an dieser Station die beiden Security-Mitarbeiter das Fahrzeug für eine Viertelstunde verlassen, ohne die entsprechenden Sicherheitsmaßnahme am Auto einzuschalten. Mit einem Nachschlüssel soll Rodrigues S. den Transporter geöffnet und in den 15 Minuten die Geldfächer geleert haben.

Schmuckhändlerin mit Pfefferspray verletzt

Es lief nicht immer so gewaltfrei, sagt die Anklage. Am 12. Mai 2016 soll Rodrigues S. mit zwei unbekannten Komplizen in Mönchengladbach eine Schmuckhändlerin ausgeraubt haben. Sie stoppten ihr Fahrzeug, raubten aus dem Kofferraum Schmuck im Wert von 300.000 Euro. Zum Schluss sprühten sie der Frau Pfefferspray ins Gesicht.

Zum strafrechtlichen Verhängnis wurde der Gruppe die Festnahme von Housein El K. aus Marl in der Schweiz. Er soll dort als „falscher Polizist“, einer Variante des Enkeltricks, Straftaten begangen haben. Die Eidgenossen gaben ihre Kenntnisse nach Recklinghausen weiter, dort gab es schon Hinweise von einem V-Mann auf die libanesische Großfamilie El-K..

Polizei verwanzte die Autos

Telefone wurden ab Juli 2018 abgehört. Aber weil die Gruppe sich fernmündlich nicht über Straftaten unterhielt, verwanzte die Polizei ihre Autos. Und diese Miniaturmikrofone lieferten der Staatsanwaltschaft reichlich Beweismaterial.

So soll Rodrigues S. im Auto ausführlich seiner Freundin und aktuellen Mitangeklagten Stefanie A. (22) von früheren Beutezügen erzählt haben. „Drei Millionen haben wir gemacht“, soll er sinngemäß geprahlt haben.

Überfall auf Transporter der Bundesbank geplant

Die Ermittler recherchierten die alten Taten nach, erfuhren aber durch die abgehörten Gespräche im Auto auch von neuen, die gewalttätiger ausfallen sollten. So plante die Gruppe laut Anklage, Geldtransporte der Bundesbank oder der Europäischen Zentralbank rüde zu stoppen und zum Teil unter Einsatz von Blendgranaten auszurauben. Elf beziehungsweise zehn Millionen Euro sollen sie sich jeweils erhofft haben. Angeklagt sind diese Gespräche als „Verabredung zum Verbrechen“.

Am 4. Dezember 2018 schlug die Polizei zu, nahm die Angeklagten fest. Rodrigues S. soll auch danach noch Beweise geliefert haben, weil er in der JVA Essen an ein Handy gekommen sein und fleißig telefoniert haben soll. Offiziell schweigt er bislang zu den Vorwürfen. Sein Verteidiger Andreas Kabut verweigert auf Anfrage der WAZ zum jetzigen Zeitpunkt einen Kommentar zum Aussageverhalten im Prozess: „Dazu sage ich heute nichts.“

Bunt gemischte Gruppe aus früheren Mitschülern

Die Gruppe ist bunt gemischt. Rodrigues S. stammt als Spanier aus der Dominikanischen Republik, siedelte aber schon mit vier Jahren nach Deutschland über. Seine früheren Mitschüler kommen aus Pakistan und dem Libanon, weitere Angeklagte aus Deutschland, Zentralafrika und Guinea.

Nach der Festnahme Ende 2018 nahm die Polizei in Recklinghausen die teuren Sportwagen mit.
Nach der Festnahme Ende 2018 nahm die Polizei in Recklinghausen die teuren Sportwagen mit. © Handout | Polizei

Trotz der Multi-Kulti-Zusammensetzung sah Rodrigues S., der oft Moscheen besucht haben soll, seine Gruppe ausdrücklich als Clan. „Wir stehen zusammen und wir fallen zusammen“, hörten die Ermittler von dem Mann, der als Planer, als „Kopf der Maschine“ gilt.

Im Seminar das Öffnen von Tresoren gelernt

Und der sehr akribisch vorging. So soll Rodrigues S. Details zu den Taten in seinem beschlagnahmten Notizbuch festgehalten haben. Und für 50.000 Euro nahm er wohl in Hamburg an einem Seminar für Fachleute teil, bei dem es um die Öffnung von Tresoren und anderen verschlossenen Behältern ging.

Offenbar gut angelegtes Geld: Für den Seminarpreis gab es auch noch das Spezialwerkzeug für gewerbliche Panzerknacker dazu.

>> Info: Schnelle Autos und teure Hotels

„Den Nerz nach innen tragen“, das ist so ein Spruch, der die Mentalität vieler reicher Unternehmer im Ruhrgebiet beschreibt. Die Essener Karl und Theo Albrecht, die Aldi-Gründer, sind wohl das bekannteste Beispiel für Bescheidenheit bei riesigem Vermögen.

Die mutmaßliche Millionenbande um Rodrigues S. lebte offenbar andere Werte. Wer reich ist, darf es auch zeigen, dürfte sie sich gedacht haben. Zwei aus der Gruppe lebten in einer Hochhaussiedlung nahe der Recklinghäuser Innenstadt, die bis vor wenigen Jahren noch als Problemviertel galt. Obwohl beide nur öffentliche Gelder („Hartz IV“) bezogen haben sollen, parkten sie dort Luxuslimousinen für rund 60.000 Euro.

Teure Autos in 3,5 Sekunden auf 100

Die teuren Autos waren Programm, denn bei drei Angeklagten endeten die Nummernschilder der schnellen Autos mit der Zahlenkombination „6393“. Die „93“ stand für den Geburtsjahrgang der drei Herren. Und die „63“ für den Fahrzeugtyp.

Denn diese Zahl kennzeichnete den Typ der von der Mercedestochter AMG hochgezüchteten Fahrzeuge. Von 0 auf 100 beschleunigen die Boliden in 3,5 Sekunden.

Beim Tippgeber stand ein Jaguar für 52.000 Euro

Ahmad A., der geständige Tippgeber, wohnte nur einen Steinwurf entfernt von den Hochhäusern in einem schmucken Reihenhaus. „Er war der Gelackmeierte, denn er bekam kein Geld von der Beute“, sagt sein Anwalt Hans Reinhard. Aber die Ermittler nehmen ihm das nicht ab. Denn zum behaupteten legalen Einkommen von monatlich 2500 Euro will der Jaguar F-Type 5.0 L V8 Coupé vor dem Haus nicht so recht passen. 52.000 Euro soll er kosten.

Belege soll es auch geben, dass Juweliere auf der Düsseldorfer Königsallee von den Taten der Gruppe profitierten. Mit den dort erworbenen Goldbarren ließ sich das illegal erbeutete Geld gut waschen, glauben die Ermittler. Staatsanwältin Nina Rezai hat in ihrer Anklage auch Flüge nach Dubai, auf die Malediven, nach Mekka und in den Oman aufgelistet, bei denen es auch um den Erwerb von Immobilien gegangen sein soll.

Angeklagter beschwert sich über hohe Ausgaben

Ganz unbeschwert ist so ein Leben im Reichtum nicht. Am 18. Oktober 2018 soll Rodrigues S. gegenüber seiner Freundin Stefanie A. geklagt haben, dass er schon die Hälfte seiner Beute ausgegeben habe. Da war es nicht mehr so wichtig, dass seine Freundin sich zwei Tage zuvor beschwert hatte, dass sie beide im Kölner Hyatt-Hotel nicht auf der „Premium-Liste“ stünden, obwohl sie in der Luxusherberge doch mehrmals in der Woche übernachteten.

In Köln entdeckte die Polizei bei einem der mutmaßlichen Täter eine Marihuanaplantage.
In Köln entdeckte die Polizei bei einem der mutmaßlichen Täter eine Marihuanaplantage. © Handout | Polizei

Echte Geschäftsinvestitionen für die Zukunft gab es auch. Bei einem der Angeklagten entdeckte die Polizei laut Anklage eine Marihuanaplantage hinter dem Haus. Die 452 Pflanzen, gespeist von 26 Lampen zu 600 Watt, hätten nach Berechnung der Ermittler drei Ernten jährlich mit jeweils 18 Kilo Ertrag gebracht. -ette