Madrid. .
Aurora Montes langt es. „Ich frühstücke jeden Morgen mit der Korruption“, schreibt sie in einem Leserbrief an Spaniens größte Tageszeitung „El País“. Das schlage ihr so auf den Magen, dass sie demnächst wohl Beruhigungstabletten mit dem Morgenkaffee schlucken müsse. Tatsächlich vergeht kaum ein Tag, an dem Spanien nicht mit Schlagzeilen eines neuen Schmiergeldskandals aufwacht. Was „El País“ zu der traurigen Einschätzung veranlasst, dass das südeuropäische Königreich „in der Champions League der korrupten Länder“ ganz oben mitspielt.
In diesen Tagen schockt eine neue gigantische Betrugs- und Bestechungsaffäre die Bürger: Im nordspanischen Katalonien hat der bekannteste Politiker der eigenwilligen Region, der langjährige katalanische Regierungschef Jordi Pujol, eingestanden, dass seine Frau und seine sieben Söhne ein Millionenvermögen auf ausländischen Konten gehortet und vor dem Fiskus geheim gehalten haben.
Das Geständnis Pujols, der 23 Jahre lang in Katalonien mit seiner auf Unabhängigkeitskurs fahrenden Regionalpartei CiU wie ein Fürst regierte, kam nicht freiwillig: Die Ermittler sind ihm und seinen Söhnen auf den Fersen, weil sie glauben, dass der Pujol-Clan jahrzehntelang öffentliche Aufträge gegen Bestechungsgeld vermittelte.
Die Ex-Frau des ältesten Pujol-Sprösslings, der wie sein Vater Jordi mit Vornamen heißt, erfreute den Untersuchungsrichter mit einer aufschlussreichen Aussage: Der Pujol-Sohn sei öfter „mit Taschen und Koffern voller 500- und 200-Euro-Scheine“ in die nahe Steueroase Andorra gefahren.
Finanzminister Cristóbal Montoro hielt Pujol vor, das Vermögen erst gemeldet zu haben, als die Steuerfahnder ihm auf der Spur gewesen seien. Die Affäre sei einer der größten Fälle von Steuerbetrug in der jüngeren spanischen Geschichte. Es wurde aber auch der Verdacht geäußert, das Geld könne aus illegalen Zahlungen stammen, die Pujol während seiner Amtszeit als Regierungschef Kataloniens (1980-2003) kassiert haben soll.
Vor dem Parlament bestritt Pujol nun diese Vorwürfe am Freitag: „Die Existenz dieser Gelder im Ausland kann kritisiert werden. Sie bedeutet aber nicht, dass der Ursprung illegal ist oder die Gelder von den Steuerzahlern stammen.“ Sein Vater habe das Geld „aus Angst“ vor der Franco-Diktatur (1939-1975) ins Ausland gebracht. Er beteuerte seine Rechtschaffenheit: „Ich war kein korrupter Politiker.“
„Die vorherrschende Meinung ist, dass die Korruption der Normalzustand ist“, beschreibt die Zeitung „La Opinion A Coruña“ die Stimmung. Es gibt kaum jemand, der keine Bekanntschaft mit der alles beherrschenden Amigo-Wirtschaft machte. Arbeitsplätze, Aufträge, Anträge beim Amt: Überall wird geschmiert. Im Jahr 2013 schickte ein Gericht die ganze Spitze des Rathauses der Badestadt Marbella ins Gefängnis – wegen eines Korruptionssystems.
Im neuesten internationalen Ranking der Korruptionswächter von „Transparency International“ schmierte das Euro-Krisenland, das seit Jahren mit Wirtschaftsmisere und Massenarbeitslosigkeit kämpft, gleich um zehn Ränge auf den 40. Platz ab.
Wie sollen Bürger auch Vertrauen schöpfen, wenn die Korruption sogar die höchsten Institutionen unterminiert? Wenn der Verdacht besteht, dass der konservative Regierungs- und Parteichef Mariano Rajoy eine ergiebige Vetternwirtschaft in der Spitze seiner Partido Popular tolerierte? Und Rajoy selbst von seinem inzwischen in U-Haft sitzenden Schatzmeister Luis Bárcenas Umschläge voller 500-Euro-Scheine unklarer Herkunft erhalten haben soll?
Pablo Ruz, eiserner Ermittler am nationalen Gerichtshof in Madrid, hat bereits mehr als 100 Politiker und Unternehmer aus dem Umfeld der konservativen Volkspartei beschuldigt – Rajoy blieb bisher unbehelligt. Dabei geht es nicht nur um Korruption und Steuerbetrug, sondern zudem um illegale Parteienfinanzierung.
Auch auf den jüngst abgetretenen König Juan Carlos fallen Schatten, die wegen seiner Immunität nie untersucht wurden. Immer wieder wurden Vorwürfe wegen fragwürdiger Vorteilsannahmen, Gratis-Luxusreisen und Gefälligkeiten laut, die in der Rechtsprechung anderer Staaten als Korruptionsdelikte klassifiziert werden.
Arbeitsfördergelder – auch aus EU-Töpfen – einfach umgeleitet?
Spaniens große Oppositionspartei, die Sozialisten, trägt ebenfalls zum schlechten Ruf des Landes bei: In der südspanischen Sozialistenhochburg Andalusien, ärmste Region Spaniens, sollen die regierenden Genossen ungeniert millionenschwere Arbeitsfördergelder – auch aus EU-Töpfen – an Freunde und auf eigene Konten dirigiert haben. Hier wurden bisher 185 Verdächtige beschuldigt.
Die Serie der Skandale ließe sich endlos fortsetzen: Kaum eine gesellschaftliche Institution, die nicht von einer Affäre erschüttert wird. Dazu eine chronisch überlastete Justiz, die mit politischen Günstlingen durchsetzt ist, so dass die meisten Korruptionsverfahren im Sande verlaufen. Strafprozesse werden systematisch verschleppt, klagt Generalstaatsanwalt Eduardo Torres-Dulce.
Die Statistik scheint die Vermutung zu bestätigen, dass die Korrupten oft straflos davonkommen: Obwohl Spaniens Justiz zur Zeit in fast 1700 Fällen ermittelt, sitzen bisher kaum mehr als 20 korrupte Politiker im Gefängnis.