Berlin.. Grimme-Preisträgerin Corinna Harfouch (59) beherrscht das Spiel mit den feinen Nuancen. Deshalb ist sie erste Wahl für das ARD-Drama „Der Fall Bruckner“. Im Interview gesteht die Schauspielerin, dass sie sich mit dem Begriff „gute Mutter“ schwer tut – und vor allem, warum.

Warum schreit der Junge jeden Abend? Was passiert dort hinter der Wohnungstür? Wer beim Jugendamt arbeitet, hat weiß Gott keinen leichten Job: Corinna Harfouch spielt im „Fall Bruckner“ (ARD, 20.15 Uhr) die Frau vom Amt: eine eigenwillige Heldin, die trotz Überforderung und öffentlichem Gegenwind ihre Spur hält. Julia Emmrich sprach mit der 59-jährigen Grimme-Preisträgerin über Jähzorn, Wut und Langeweile – und warum es so schwer ist, eine „gute Mutter“ zu sein.

Höchste Zeit, den Leuten vom Jugendamt mal ein Denkmal zu setzen?

Nein. Wer bin ich denn, dass ich diesen Menschen ein Denkmal setzen könnte? Ich wollte erfahren, wie sie arbeiten, wie es zugeht im Alltag eines Jugendamts.

Der Druck ist groß...

Es ist ja ein Zeichen unserer Zeit, dass wir alle unter Überforderung leiden. Wir fühlen uns doch alle ständig am Rand von etwas. In diesem Film geht es aber nicht nur um die Arbeit im Jugendamt. Es geht um die Frage, wie man Entscheidungen trifft: Ob man seine Instinkte noch wahrnimmt, auf die Intuition hört - oder ob man alles nur noch routiniert abwickelt.

„Das ist eine ganz gefährliche Sehnsucht“

Sind Bauchentscheidungen immer gute Entscheidungen?

Bei allen Lebensentscheidungen waren meine Bauchentscheidungen die besseren.

Im Film kommen eine Handvoll Mütter vor, die allesamt gute Mütter sein wollen, aber mit dem Scheitern kämpfen. Ist es heute besonders schwer, eine gute Mutter zu sein?

(Lange Pause.) Na ja. Diese „gute Mutter“ - das ist eine ganz gefährliche Sehnsucht. Wenn man sich darum bemüht und merkt: Ich kann das einfach nicht sein. Man hat das Bild von einer guten Mutter vor Augen und ist mit ganz anderen Gefühlen konfrontiert. Ich bin ja auch dreifache Mutter...

Sind Sie eine gute Mutter?

Ich weiß es nicht. Also, ich glaube im Sinne dieses Sehnsuchtsbegriffes nicht. Ich habe da jedenfalls tiefe Zweifel.

„Ich kann das absolut verstehen“

Wieso?

Weil ich doch auch diese Gefühle kenne: heftige Ablehnung, Stress, Gelangweiltsein, Einsamkeit, Erschöpfung, Aggression – diese Gefühle passen überhaupt nicht zum Bild einer guten Mutter. Die sind aber trotzdem da. Du willst so nicht sein, aber du bist so. Und es gibt eine große Scheu, darüber zu sprechen. Weil alle glauben, dass man mit der Geburt automatisch weiß, wie Muttersein geht.

Was hilft gegen Wut und Druck?

Den Raum verlassen. Abstand bekommen. Und es ist wichtig, mit jemandem darüber zu sprechen. Heute erscheint es mir leichter. Als meine Kinder klein waren, war ich mit solchen Sorgen allein.

Können Sie verstehen, dass Müttern „die Hand ausrutscht“?

Natürlich. Ich kann das absolut verstehen.

„Spätestens beim dritten Kind“

Wenn Sie sehen, dass Eltern auf der Straße ihr Kind...

...dann gehe ich sofort dazwischen. Das ist bei mir ein Instinkt.

Was tun sie genau? Sprechen Sie die Leute an?

Man muss gar nicht sprechen. Man muss sich einfach nur direkt daneben stellen.

Machen Sie das, damit sich die Leute schämen?

Ja, aber nicht nur: Ich will auch ein Angebot machen. Ich will nicht moralisch sein, das hilft nicht, sondern besänftigen. Denn das sind oft jähzornige Anfälle, die gehen wieder weg. Die Erfahrung habe ich selber gemacht: Wenn man den Anfall überstanden hat, kriegt man es meistens wieder hin. Spätestens beim dritten Kind (lacht).

KURZKRITIK

Katharina Bruckner (Corinna Harfouch) hat ein feines Gespür für Menschen und ihre Notlagen. Die Kollegen im Jugendamt schätzen ihre klugen Entscheidungen und holen sie oft zu Hilfe. Denn sie wissen: Falsche Entscheidungen können Kinderleben kosten, Fehleinschätzungen aber auch Familien zerstören. Im Fall des kleinen Joe und seiner ehrgeizigen Mutter (Christiane Paul) aber scheint die erfahrene Kinderschützerin ständig falsch zu liegen. Ist sie überfordert? Der Film erzählt spannend, aber ohne billige Effekthascherei von einem Fall, wie er täglich überall passieren kann: Ein Kind verhält sich auffällig - und die Erwachsenen brauchen viel zu lange, um herauszufinden, warum.