Essen. Beim Woodstock-Festival war er eine Sensation. Seine Version von „With A Little Help From My Friends“ pulverisierte das Original von den Beatles. Einer Blitz-Karriere folgte beinahe der Total-Absturz. Heute hat sich Joe Cocker gefangen. Seine treuesten Fans sind in Deutschland.

Noten? Kann er nicht lesen. Gesangsunterricht? Nie gehabt. Seine Schule war das Leben. Und das hat es nicht immer gut mit ihm gemeint. Am Dienstag wird Joe Cocker 70 Jahre alt. Hätte man früher auch nicht für möglich gehalten.

Wer ihn heute sieht, wenn er vor dem Mikro steht, der sieht einen netten älteren Herren mit rauer Stimme, der ein wenig auf Kriegsfuß zu stehen scheint mit seinem Friseur und gerne mit wedelnden Armen auf der Bühne steht. Was ihm schon lange den Beinamen „The Singing Windmill“ eingebracht hat – die „singende Windmühle“.

"Das größte Ding seit den Beatles"

Kollege Alexis Korner hat ihn mal den „Sänger der Unterprivilegierten“ genannt, für den britischen „Melody Maker“ war er 1970 „das größte Ding seit den Beatles“. Das klingt ein wenig gegensätzlich, trifft aber beides zu. Geboren in Sheffield, wächst Cocker in ärmlichen Verhältnissen auf. Mit 16 schmeißt er die Schule, lernt Gasinstallateur, geht tagsüber arbeiten und steht fast jede Nacht als Vance Arnold in einer von Sheffields Kneipen. Ein paar Pfund gibt es dafür und jeden Abend fünf Liter Bier, die er bis auf den letzten Tropfen vernichtet. „Da fühlte ich mich wohl“, hat er sich später erinnert und behauptet: „Wenn ich nicht mit dem Singen angefangen hätte, wäre ich kriminell geworden.“

Eine Ein-Mann-Show im Delirium macht ihn 1969 zur Legende. Vor 400 000 Menschen tritt der Mann mit der Reibeisen-Stimme beim Festival in Woodstock auf, singt und röhrt sein Beatles-Cover „With A Little Help From My Friends“, und die Menge singt mit. Plötzlich ist er ein Star. Beinahe geht er daran zugrunde.

Ein Gen, das auf Selbstzerstörung programmiert ist

Cocker säuft, greift zu Drogen. Körperlich bald ein Wrack, schleppt er sich oft auf irgendeine Bühne, ohne zu wissen, wer gerade neben ihm steht, zappelt herum und hechelt jeden Song ins Mikro, als wäre es der letzte. Aber keiner ist da, der ihm hilft, denn alle verdienen gut an ihm. Nur Cocker verdient oft kaum etwas. Und wenn doch, dann kann es auch schon mal passieren, dass er einen 100 000-Dollar-Scheck beim Waschen in der Waschmaschine vernichtet. „Ich wusste nicht, wie der in meine Jeans gekommen war.“

Er fällt, steht wieder auf, nur um erneut zu fallen. „Ich weiß es auch nicht“, hat er Jahre später in einem Interview mit dem Spiegel gesagt. „Ich habe wohl irgendein Gen, das auf Selbstzerstörung programmiert ist. In regelmäßigen Abständen gewinnt dieses Gen die Übermacht.“

Anfang der 1980er-Jahre bekommt er sein Leben in den Griff, und die am Boden liegende Karriere nimmt wieder Fahrt auf. Das Album „Sheffield Steel“ führt ihn zurück ins Rampenlicht, „Up Where We Belong“, ein Duett mit Jennifer Warnes und Titelsong des Kinohits „Ein Offizier und Gentleman“ an die Spitze der Charts. Viele ähnliche Songs folgen. Weit weg vom Blues, den er so liebt, aber extrem kommerziell. Cocker lernt, Kompromisse zu machen, weil er es mag, „am Ende des Jahres ein Plus auf meinem Konto zu haben“.

Angeln und wandern in der Wildnis

Irgendwann ist dieses Plus so groß, dass sich Cocker und Ehefrau Pam eine Farm in Colorado kaufen. Sehr groß, sehr abgelegen – angeblich ohne Internetzugang. Watussi-Rinder züchtet der Sänger, geht zum Angeln oder wandert mit seinen Hunden durch die Wälder. Und zwischendurch nimmt er immer mal wieder ein neues Album auf, und manchmal geht er auch auf Tournee.

Besonders gerne übrigens in Deutschland, wo er schon seit Jahren mehr CDs verkauft als irgendwo anders auf der Welt. Weil die Deutschen ihn irgendwie ganz besonders mögen. Was sich längst auch unter seinen Sangeskollegen herumgesprochen hat. „Ich kann jede Menge Lieder mit schönen Melodien und guten Texten singen“, hat Udo Jürgens mal erzählt – „und dann stellt sich Joe Cocker hin, schreit einmal ,Baby’, und ich kann einpacken!“

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