Der türkische Premier Erdoğan ist um Worte nie verlegen. Aber er trifft immer seltener den Ton. Die Demonstranten, die zu Hunderttausenden gegen seinen Regierungsstil protestierten, beschimpfte er als „Pack“, „Terroristen“, „Nagetiere“. Die Korruptionsvorwürfe wischte er als „internationales Komplott“ und Erfindung seines Feindes Gülen vom Tisch.
Auch im Angesicht der Bergwerkstragödie von Soma fand Erdoğan wieder die falschen Worte. Der Premier bemühte Grubenunglücke aus dem England des 19. Jahrhunderts und dem China des Jahres 1942, um aufzuzeigen, dass solche Katastrophen „ganz gewöhnliche Sachen“ seien und „in der Natur der Sache“ liegen.
Erdoğan lässt sich gern als Vater des Wirtschaftswunders feiern. Der Aufschwung hat ihm einen Wahlsieg nach dem anderen beschert. Mit Prestigeprojekten will er sich verewigen. Auf die Arbeitssicherheit und die Belange der Umwelt nimmt er wenig Rücksicht. Das Grubenunglück von Soma wirft ein Schlaglicht auf die dunkle Seite des Wirtschaftswunders. Es ist daher nur logisch, dass Erdoğan jetzt von „Schicksal“ spricht. Denn damit erübrigt sich die Schuldfrage.
Es handelt sich um ein systemisches Problem, das in der politischen Kultur des Landes wurzelt. Die Türkei ist ein Land des Vergessens. So, wie über die Korruptionsaffäre Gras zu wachsen beginnt und sich kaum mehr jemand an die fünf getöteten Demonstranten vom Sommer erinnert, wird das Unglück von Soma bald verdrängt sein. Bis zur nächsten Tragödie.
Auf Proteste reagiert Erdoğan wie immer: Er lässt Wasserwerfer rollen. Seine Karriere gefährden die Proteste ohnehin nicht.