Brighton. . „Waterloo“ – seit Napoleon Symbol für eine krachende Niederlage. Nicht so für vier junge Schweden. Abba startete mit „Waterloo“ eine fulminante Pop-Karriere. Erst rockte ihr Song den Grand Prix, dann mutierten die fantastischen Vier zu Superstars.
Später haben sie sich ein bisschen geschämt für ihre Garderobe. Nicht Annafrid und Agnetha. Aber Björn und Benny. Für die silbernen Stiefel mit den Plateau-Sohlen, die so hoch sind, dass sie kaum darauf laufen können. Oder für die samtenen Hosen, die so eng sind, dass jeder Versuch, sich zu setzen mit dem Risiko des Reißens verbunden ist. So lächerlich sehen sie aus, dass die Ordner sie spät am Abend dieses 6. April 1974 erst gar nicht auf die Bühne lassen wollen im „Dome“ von Brighton. Dabei haben die vier Schweden, die sich Abba nennen, dort gerade den Grand Prix d’Eurovision de la Chanson gewonnen. Und das mit einem Song, dessen Titel bis heute als Synonym für eine verheerende Niederlage gilt: „Waterloo“. Doch das alles ist den Sicherheitskräften egal. „Dieser Wachmann dachte sich wohl, ,Du bist kein Songwriter, de, du musst warten’“, erinnert sich Björn.
Man kennt sie ja auch nicht. Noch nicht. Abba zählt nicht zu den Favoriten der 19.Auflage dieses Wettbewerbes, der sich damals noch sehr seriös gibt und keinen Platz hat für „schräge Vögel“. Olivia Newton-John wird hoch gehandelt, die mit dem Song „Long Live Love“ für die Gastgeber antritt. Aber auch Gigliola Cinquetti, die schon 1964 für Italien gewonnen hat, werden mit „Sì“ gute Chancen eingeräumt. Aber Schweden? Noch nie haben die Skandinavier diesen Gesangswettbewerb gewonnen. Dann aber geht ein Raunen durch das Publikum, als ein kleiner Mann namens Sven-Olof Walldoff das Dirigentenpult besteigt. Abbas Dirigent ist als Napoleon verkleidet. One, two, three, dann tönt es von der Bühne. „My, my, at Waterloo Napoleon did surrender…“ 2:45 Minuten dauert der Song. Schneller hat eine Weltkarriere selten begonnen.
Es dauert nicht lange und das Lied ist Nr. 1 in ganz Europa. Und anders als die meisten Gewinner wird die Band nicht zu einem so genannten One-Hit-Wonder. Im Gegenteil. „Knowing Me, Knowing You“, „Fernando“, „Chiquitita“ und natürlich „Dancing Queen“ – fast im Dreimonatstakt bringen die beiden Paare einen neuen Hit auf den Markt. Leicht und eingängig klingen die Lieder der Band, sind aber das Ergebnis wochenlanger Tüfteleien im Studio.
In den späten 1970ern liegt ihnen die Popwelt rund um den Globus zu Füßen. Sie könnten auch das Telefonbuch von Sidney vertonen, sie würden „Money Money Money“ machen. Nur aus der Heimat kommt Kritik. Vielen Schweden ist „die Gruppe zu kommerziell“, ihre Musik „zu oberflächlich und unkritisch“.
Die Gruppe gilt als Vorbild
Die große Öffentlichkeit, das Leben aus dem Koffer, der Stress rund um dien Uhr, sie fordern ihren Tribut. Harmonie und verliebte Blicke gibt es bald nur noch auf der Bühne. Und irgendwann auch da nicht mehr. 1982 trennt sich die Gruppe. Vergessen aber ist sie bis heute nicht. Mehr noch: Von Kollegen und Kritikern einst verspottet, gilt sie längst als Vorbild. „Eine der besten Pop-Gruppen, die es jemals gab“, findet U2-Frontmann Bono und Madonna hat fast gebettelt, um für ihre Single „Hung Up“ ein kleines Stück von „Gimme Gimme Gimme“ übernehmen zu dürfen. Bis heute haben die Schweden rund 400 Millionen Tonträger verkauft. Und jeden Tag kommen immer noch mehr als 3000 hinzu. Finanzielle Sorgen werden sie deshalb auch nie wieder zusammen auf eine Bühne führen. Obwohl Agnetha vorigen Herbst Hoffnung bei vielen Fans schürte, als sie andeutete, zum 40. Jahrestag des Grand-Prix-Sieges sei „was geplant“.
Offenbar nicht von Annafrid. Man solle, mahnt sie die Fans, nicht an etwas hängen, „das nicht mehr existent ist“. Und Björn ist auch nicht wild darauf, mit den anderen aufzutreten. Die Jahre mit Abba seien „nicht die glücklichsten“ seines Lebens gewesen. Hat aber nichts mit der Garderobe zu tun, die er damals getragen hat.