Arica. .
Den Therapeuten Ricardo Yevenes erwischte das Erdbeben mitten in einer Therapiesitzung. „Die ganze Praxis begann zu wackeln, Gegenstände fielen aus den Regalen zu Boden“, sagte der Psychiater aus der Stadt Arica im Norden Chiles. Und dann ging für kurze Zeit in der 200 000-Einwohner-Stadt an der Grenze zu Peru das Licht aus.
Draußen auf dem Meer vor der Pazifikküste hatte sich gestern wenige Sekunden zuvor eines der schwersten Beben ereignet, die in Chile je gemessen wurden: 8,2 auf der Richterskala. Es versetzte die Bevölkerung in Panik und löste für Stunden eine Tsunami-Warnung in vielen Ländern an der Pazifikküste Südamerikas aus. Die Behörden des Nationalen Notfallbüros Onemi ordneten die Evakuierung der großen Städte Iquique und Arica sowie kleinerer Ortschaften entlang der chilenischen Küste an. Hunderttausende waren betroffen. Das Epizentrum des Bebens lag rund 90 Kilometer vor der Küste Chiles in 46 Kilometer Tiefe. Das Zentrum des Bebens lag rund 100 Kilometer vor der Küste der Stadt Iquique in 38,9 Kilometern Tiefe im Meer. Hier kamen vier Frauen und ein Mann ums Leben – von einstürzenden Mauern erschlagen.
300 Häftlinge ausgebrochen
Stunden nach der Erschütterung erreichten Wellen mit bis zu zweieinhalb Meter Höhe die chilenische Küste. Zudem seien in der Stadt zwei Brände ausgebrochen und 300 Häftlinge aus dem Gefängnis der Stadt geflohen. Die Fluggesellschaft LAN strich vorsorglich alle Flüge nach Arica und Iquique. Später berichtete das Notfallbüro Onemi, es seien 900 000 Menschen nach dem Beben evakuiert worden.
Das chilenische Fernsehen zeigte am Abend Videos von Menschen aus dem Gebiet, die diese mit ihren Handys aufgenommen hatten. Darauf sieht man wackelnde Wände, springende Fensterscheiben, hört Menschen beten oder Witze machen: „Schön rhythmisch das Ganze“, sagt ein junger Mann lachend, während er Bilder seiner Wohnung zeigt, in der die Lampen wackeln.
1500 Kilometer weiter südlich in der Hauptstadt Santiago de Chile trat Präsidentin Michelle Bachelet gegen ein Uhr morgens in hellrotem Kostüm und Perlenkette vor die Presse und lobte die Bevölkerung. „Das Land geht mit der Notsituation gut um“, sagte die Präsidentin. „Ich rufe die Menschen dazu auf, weiter Ruhe zu bewahren und den Anordnungen der Behörden Folge zu leisten.“
Versagen der Staatsmacht
Zu präsent ist, was vor vier Jahren im Süden Chiles geschah. Im Februar 2010 kam zu einem schweren Beben der Stärke 8,8 mit mehr als 500 Toten und 200 000 zerstörten Unterkünften. Aber fast schwerer als die Opfer und die Schäden wog in der öffentlichen Meinung seinerzeit das Versagen der Staatsmacht an den Folgetagen. In dem Nach-Bebenchaos kam es zu massiven Plünderungen von Supermärkten und Überfällen auf Geschäfte, zu Brandstiftungen und Einbrüchen.