Willich/Essen. . Jugendliche verschicken zuhauf intime Aufnahmen von sich. Landen diese Bilder im Internet, ist die Verbreitung kaum zu stoppen. Jugendschützer und Schulen sind in Alarmbereitschaft. Fünf Schulen in Nordrhein-Westfalen nehmen an einem Pilotprojekt teil, damit der umstrittene Trend besser kontrolliert werden kann.
Von ihrem Smartphone sind Jugendliche heute kaum zu trennen. Mit wenigen Klicks machen sie Fotos und leiten Bilder weiter. Heikel wird es, wenn sie intime Aufnahmen rumschicken. Sexting nennt sich dieses Phänomen. Jugendschützer schlagen Alarm.
Sexting – was ist das genau?
Sexting ist eine Art Telefonsex im Smartphone-Zeitalter. Das Wort setzt sich aus den Begriffen Sex und Texting, der englischen Bezeichnung für das SMS-Schreiben, zusammen. Dabei posieren junge Leute – meist Mädchen – freizügig bekleidet oder nackt vor der (Handy-) Kamera, machen ein Bild von sich und schicken es per Whatsapp weiter – im besten Fall an ihren Freund, den sie damit überraschen wollen, im schlimmsten Fall an eine oberflächliche Internetbekanntschaft, die auf pornografische Bilder aus ist.
Wo liegen die Gefahren?
Problematisch wird es, wenn das als private erotische Botschaft verstandene Foto die Runde macht. Wenn es also weitergeleitet oder – noch schlimmer – ins Internet gestellt wird. Frei zugänglich, ohne jeden Persönlichkeitsschutz. „Ist ein Bild im Internet gelandet, gibt es kein Zurück. Dann ist die Verbreitung kaum zu stoppen“, sagt Professor Christian Pfeiffer vom Kriminologischen Institut Niedersachsen. Das Internet vergisst nichts.
Wieso kommt ein intimes Foto in Umlauf?
Was womöglich als neckisches Liebesspiel eines Paares beginnt, kann schnell ungewollte Dimensionen erreichen. Beispielsweise wenn unter Kumpels mit den sexy Aufnahmen der Mädchen geprahlt wird. Oder wenn eine Liebe zu Ende geht, der Partner sich an seiner Ex rächen will und Fotos von ihr im Internet veröffentlicht. – Oder auch wenn die Fotos versehentlich ins Netz gelangen. Manche Smartphones sind so eingestellt, dass sie neue Bilder automatisch in die Cloud oder Online-Communities hochladen.
Wie tragisch solche Entwicklungen enden können, zeigen Fälle aus Amerika: „In den USA hat es bereits eine ganze Reihe von Selbstmorden gegeben“, so Pfeiffer. Die Mädchen seien daran zerbrochen, dass sie bloßgestellt werden. – Aus Sexting kann also schnell Cybermobbing werden.
Wie viele Menschen sind betroffen?
Zuverlässige Studien und Erhebungen laufen erst an. Der Kriminologe berichtet aber von einer Umfrage unter Jugendlichen in Ostdeutschland, nach der fast jedes fünfte Mädchen und jeder zehnte Junge schon einmal erotische Fotos oder auch Videos von sich verschickt hat.
Warum machen so viele junge Leute überhaupt mit?
„Weil sie die Bilder als Liebesbeweis sehen. Oder weil sie es kribbelnd und spannend finden, ihren heranreifenden Körper zu zeigen. Für manche Mädchen scheint es sogar faszinierend zu sein, sich einem Fremden auf diese Weise zu präsentieren“, stellt Pfeiffer fest – was gefährlich werden kann. Es komme vor, dass Männer ihre junge Internetbekanntschaft erpressen. „In etwa so: Wenn du mir keine schärferen Nacktfotos von dir schickst, hetze ich dir die Hells Angels auf den Hals!“
Ein Beispiel
In Willich im Kreis Viersen ist kürzlich bekannt geworden, dass ein Sportlehrer an einer Schule intime Bilder von Schülerinnen gesammelt haben soll. Polizisten hatten Fotos bei dem Mann gefunden, die Ermittlungen laufen noch. „Vier Mädchen dieser Schule hatten zuvor schon auf den Lehrer aufmerksam gemacht, aber an der Schule hat man sie nicht ernst genommen. Die Beschwerden sind im Sande verlaufen, weil eine zentrale Anlaufstelle für die Schülerinnen fehlte“, sagt Kriminalitätsforscher Pfeiffer, der die Schule seit diesem Vorfall berät.
Wie sollten sich Eltern und Lehrer verhalten?
Jugendschützer und Kriminologen schlagen Alarm. Es sei wichtig, diese Entwicklung zu stoppen. Viele Erwachsene haben allerdings noch nie von Sexting gehört: „Die Mehrheit der Lehrer ist szenefremd. Auch die Eltern haben Schwierigkeiten, über die Auswüchse der virtuellen Welt Bescheid zu wissen“, erklärt Benjamin Wockenfuß von der Hessischen Landesstelle für Suchtfragen. Wenn es zum Cybermobbing kommt, sollten Eltern die Schule informieren und mit ihren Kindern unbedingt zur Polizei gehen, rät Kriminologe Christian Pfeiffer.
Die Strafverfolgung
Im Gesetzbuch gibt es (noch) keinen Punkt „Cybermobbing“. Aber die Justiz hat dennoch Wege gefunden, Delikte zu ahnden. Das Verbreiten von pornografischen Schriften, Nötigung, Erpressung oder Beleidigung können bestraft werden. Pfeiffer nennt einen Fall in Bayern, bei dem ein Mann kürzlich zu drei Jahren Haft verurteilt wurde.
Wie soll das weitergehen?
Aus dem Vorfall an der Schule in Willich werden Konsequenzen gezogen. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen führt jetzt eine große Untersuchung und Befragung an fünf weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen durch. Endlich sollen Fakten auf den Tisch: Wie viele Schülerinnen werden aufgefordert, sich für Sexting auszuziehen? Warum stimmen sie zu? „Schulen muss bewusst gemacht werden, dass Sexting ein großes Problem unserer Zeit ist“, sagt Christian Pfeiffer. Er plädiert für ein verlässliches, umfangreiches Aufklärungskonzept, bei dem das Kultusministerium einsteigen sollte. Und für Lehrerfortbildungen. An der Schule in Willich werden nun ein Mann und eine Frau als Sexting- und Cybermobbing-Vertrauenslehrer ausgebildet. „Dieses Konzept sollten andere Schulen übernehmen.“