Pretoria. . Eine Nachbarin des südafrikanischen Paralympics-Star Oscar Pistorius hat den angeklagten Sportler zum Auftakt des Mordprozesses schwer belastet. Bereits vor der Bluttat seien Schreie aus Pistorius’ Haus gekommen, sie habe Schlimmes befürchtet. Pistorius selbst bezeichnet sich als unschuldig.

Die Nachbarin belastet ihn schwer: Sie habe „markerschütternde Schreie“ und dann vier Schüsse aus Oscar Pistorius’ Haus gehört – mit dieser Aussage hat Michelle Burger, die erste Zeugin, den südafrikanischen Sprintstar am Montag im Mordprozess in Bedrängnis gebracht. Pistorius gab in Pretoria zu, seine Freundin Reeva Steenkamp vor gut einem Jahr aus Angst vor einem Einbrecher erschossen zu haben. Er habe aber nicht vorher mit ihr gestritten.

Unter gewaltigem Medienrummel betrat der an beiden Unterschenkeln amputierte Athlet im dunklen Anzug und mit gesenktem Kopf den Gerichtssaal. Nach der Verlesung der Anklage – neben der „illegalen und vorsätzlichen Tötung“ seiner Freundin in der Nacht zum Valentinstag 2013 wird ihm das Tragen und der Einsatz verbotener Waffen vorgeworfen – bat Richterin Thokozile Masipa Pistorius um eine Stellungnahme. Der 27-Jährige antwortete mit schwacher Stimme: „Nicht schuldig.“

Die Nachbarin Michelle Burger berichtete anschließend, sie habe in der fraglichen Nacht eine Frau um Hilfe schreien hören und kurz darauf vier Schüsse. Sie und ihr Mann seien kurz nach drei Uhr morgens „von den schrecklichen Schreien einer Frau geweckt worden“, sagte die Universitätsdozentin. Wenig später habe sie wieder Schreie gehört. „Es war schlimmer als vorher. Sie war sehr verängstigt“, sagte Burger, deren Mann ebenfalls auf der Zeugenliste steht. „Ich wusste, dass etwas Schreckliches passieren würde.“

Als Oscar Pistorius in den Saal GD im Erdgeschoss des Landgerichts in Pretoria geführt wird, muss er direkt an Reeva Steenkamps Mutter vorbei: Ein Moment, den die 69-jährige June Steenkamp herbeigesehnt hatte. „Ich werde mich so hinsetzen, dass er mir in die Augen sehen muss“, hatte sie am Vortag des ersten Verfahrenstags gesagt.

Staranwalt durchlöchert Aussage

Doch der 27-jährige Angeklagte entgeht dem Blick der ganz in Schwarz gekleideten Mutter. Abgewandt bahnt er sich seinen Weg auf seinen Platz in die allein für ihn freigehaltene erste Reihe der Holzbänke: Hier wird er alleine ausharren müssen. Mit seiner Familie, die zwei Reihen hinter ihm sitzt, nimmt er nur selten Blickkontakt auf: Onkel, Schwester und Bruder sitzen auf der linken Seite der Bankreihe, Familie Steenkamp auf der rechten – nicht einmal Blicke werden zwischen den beiden Parteien gewechselt.

Reevas Mutter hatte sich nichts sehnlicher gewünscht, als dem Mann, der ihre Tochter tötete, und den sie niemals zuvor zu Gesicht bekam, in die Augen zu schauen. Sie sei nicht rachsüchtig und wolle Pistorius weder tot noch hart bestraft sehen, sagte sie vor dem Prozess: Sie vertraue auf das Recht und ihren Glauben. Sie wolle jedoch „für sich selbst in seinen Augen sehen, was er mit meiner Tochter gemacht hat”.

Dann folgte die Version der Verteidigung: Danach war Pistorius in der Nacht zum 14. Februar 2013 in seinem Haus in Pretoria aufgewacht, hatte ein Geräusch in seiner Toilette vernommen, war auf seinen Beinstümpfen ins Badezimmer gelangt und hatte in Panik vier Schüsse durch die verschlossene Toilettentür abgegeben. Erst später habe er bemerkt, dass Reeva nicht etwa neben ihm im Bett schlief, sondern die Person hinter der Toilettentür war.

Dann folgte die Stunde des Star-Anwalts Barry Roux, der dem Vernehmen nach täglich umgerechnet rund 2500 Euro berechnet: Im Kreuzverhör suchte Roux Widersprüche und Unklarheiten in Michelle Burgers Aussagen ausfindig zu machen: Sein aggressiver Stil ging an der zaghaften Zeugin nicht spurlos vorüber. Ob es tatsächlich Schüsse und die Schreie einer Frau und eines Mannes gewesen seien, die sie aus 177 Meter Entfernung gehört haben will, wollte der Verteidiger wissen: Hätten es nicht lediglich die Schreie Pistorius’ und die Hiebe seines Baseballschlägers gewesen sein können, mit der er die Toilettentür einschlug? Der Staranwalt vermochte gewiss Zweifel an der Exaktheit der Aussage der Hochschullehrerin wecken – sie als Zeugin völlig unglaubwürdig zu machen, gelang ihm indessen nicht.