Washington. .
Auf der Internetseite von Babcock & Wilcox schaut man unter dem Stichwort „Sicherheit“ in die Gesichter von fünf bis an die Zähne bewaffneten Soldaten. Sie arbeiten für einen globalen Technologie-Dienstleister, der sein Geld in hochsensiblen Atomfabriken verdient. Zum Beispiel in Y-12, der in Oak Ridge im US-Bundesstaat Tennessee liegenden Anlage, wo die Atombomben von Hiroshima und Nagasaki vorgedacht wurden und noch heute so viel angereichertes Uran lagert, dass man damit spielend 10 000 todbringende Nuklearwaffen bestücken könnte. Am 28. Juli 2012 war Babcock & Wilcox auf vieles vorbereitet. Aber gewiss nicht auf die Nonne Megan Rice und zwei Mitstreiter aus der Jesaja 2, Vers 4 verpflichteten Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“.
Ausgerüstet allein mit Entschlossenheit, Bolzenschneider und Taschenlampen fügte die in zivilem Ungehorsam geübte Ordensfrau samt ihren Helfern der amerikanischen Atomwaffenindustrie in dieser Nacht den größten Imageschaden zu. Sie durchtrennten auf dem wie Fort Knox bewachten Areal drei Sicherheitszäune, besprühten die Außenwand der Anlage mit biblischen Parolen, hängten Transparente auf und klopften ein paar Steine aus der Mauer. Erst nach einer Stunde wurden sie von einem verblüfften Sicherheitstrupp festgenommen.
Bis zu zehn Jahre Gefängnis
Heute erwarten die Eindringlinge, die mit ihrer Aktion auf Amerikas widersprüchliche Atompolitik und das hochgefährliche Geschäft mit Uran aufmerksam machen wollten, ihr Urteil. Weil die Staatsanwaltschaft im stillen Einvernehmen mit der Regierung in Washington das Vergehen zuletzt auf schwere Sabotage gegen die „Sicherheit der nationalen Verteidigung“ hochgejazzt hat, müssen Michael Walli (64) und Greg Boertje-Obed (58), ein pensionierter Schreiner und ein Vietnam-Veteran, mit bis zu zehn Jahren Gefängnis rechnen. Für Megan Rice könnte selbst das mildere Strafmaß ein indirektes Todesurteil bedeuten. Die zum Orden der „Schwestern vom Heiligen Kinde Jesu“ gehörende Frau aus Manhattan ist 84.
Das Trio war im Mai unter Anteilnahme nationaler Medien schuldig gesprochen und zu Schadenersatz in Höhe von rund 40 000 Euro verurteilt worden. Rice verbrachte die Zeit seither im Gefängnis. Was Richter und Anklage fuchst: Rice zeigt keine Reue. „Ich bedauere, dass ich siebzig Jahre damit gewartet habe. Das ist eine Produktion, die nur Tod verursachen kann“, sagte die zierliche Frau mit dem kurzen Pagenhaarschnitt im Gerichtssaal.
Ihr Argument ist in der Szene der Atomwaffengegner salonfähig: Offiziell propagiert der Präsident das schrittweise Verschrotten des Nuklearwaffen-Arsenals. Tatsächlich wird Oak Ridge für 19 Milliarden Dollar ausgebaut. Für Megan Rice „eine Sünde gegen die Menschheit“.
Ihre 11 000 Anhänger, die eine Petition unterzeichneten, fordern Freispruch, höchstens eine symbolische Bestrafung. Schließlich, so etliche Leserbriefschreiber, habe die Nonne eine nicht für möglich gehaltene Schlamperei auf dem Hochsicherheitsgelände Y-12 aufgedeckt. Ihr Anwalt ist überzeugt, dass an seiner Mandantin ein Exempel statuiert werden soll, weil sie die staatlichen Autoritäten in Verlegenheit gestürzt hat. Wenn eine Seniorin in Oak Ridge eindringen kann, wie leicht müsste das Terroristen fallen?