Essen.. Willy Brandt war der große Antiautoritäre, der Unperfekte, der Emotionale unter den deutschen Kanzlern. Zum 100. Geburtstag würdigt eine Dokumentation zuerst bei Arte, dann im Ersten den Sozialdemokraten, dem es gelang, mit Gesten mehr zu bewirken als andere mit Reden, Büchern und Verträgen.
Unter den lebenden Sozialdemokraten ist Helmut Schmidt der populärste. Man mag ihn, weil er anders ist als der Rest der Politik: störrisch, rauchend, autoritär. Aber da gibt es einen von früher, der Schmidt in diesen Tagen die Schau stiehlt: Willy Brandt. Auch den mochten viele, weil er anders war: nachdenklich, antiautoritär, mit rauchiger Stimme. Der Mann, der bei der Bundestagswahl 1972 für die SPD ein Rekordergebnis einfuhr, würde am 18. Dezember 100 Jahre alt. Arte (Dienstag, 10. Dezember, 20.15 Uhr) und das Erste (Dienstag, 17. Dezember, 22.45 Uhr) zeigen „Erinnerungen an ein Politikerleben“.
Wer war Willy Brandt? Die Frage sei gestattet, denn die meisten von denen, die ihn zu seinen Lebzeiten verehrten (oder verachteten), sind heute jenseits der 60. Die werden bei dieser Fernseh-Doku in Erinnerungen schwelgen, aber nichts Neues erfahren: Exil in Norwegen, Regierender Bürgermeister, Kanzler, Friedensnobelpreisträger, Spionage- und Intrige-Opfer – die wichtigen Geschichten über Brandt, sie sind alle erzählt.
Große Worte und große Gesten ziehen sich durch die Vita von Willy Brandt
Aber weil es bei Willy Brandt nie allein um Fakten, sondern immer auch ums Gefühl geht, lohnt es sich, ihn mal wieder zu sehen: den Gefühlsmenschen, den Unperfekten, Zweifelnden und doch in historischen Momenten so instinktsicheren Brandt. Zu Wort kommen jene, die einmal dicht an ihm dran waren. Mehrheitlich Bewunderer, Freunde, natürlich der „Wegbegleiter“ Egon Bahr und Peter Brandt, der Kanzler-Sohn und Historiker.
Sie alle beschreiben einen Politiker, der aus dem Rahmen fällt: stark und schwach zugleich, für einen Kanzler erstaunlich bürgernah, nicht gerade ein treuer Ehemann und mit markanter Stimme gesegnet. Die kommt natürlich auch zu Wort, mit Sätzen wie „Der Tag wird kommen, an dem das Brandenburger Tor nicht mehr an der Grenze liegt“ oder mit dem Klassiker „Wir wollen mehr Demokratie wagen“.
Große Worte und große Gesten ziehen sich durch die Vita von Willy Brandt. Die wohl größte, weil weltweit wirkende Geste war der Kniefall in Warschau. Für den Diplomaten Wolf-Dietrich Schilling einer der bewegendsten Momente: „Es war, als sei Willy Brandt wie ein Baum gefällt worden. Er ist dort hingegangen mit langsamen Schritten, und dann ist er wie zusammengebrochen auf die Knie gefallen. Und ich fand es unerhört und unglaublich und auch unfassbar.“
Überhaupt ist die Botschaft dieser 90 Minuten über Willy Brandt: Der fehlt.