Lübeck. . 59-Jährige starb Stunden später an mehr als 30 Stichen mit einer Schere. Ihr Sohn leidet schon seit 17 Jahren an Schizophrenie, hört Stimmen. Die sollen ihm auch gesagt haben, dass er seine Mutter umbringen müsse. Psychiaterin wegen fahrlässiger Tötung vor Gericht.

Niemand hat ihm helfen können, 17 Jahre lang. Seine Eltern nicht, sein Bruder nicht, Ärzte, Betreuer, Psychologen, mehr als ein Dutzend versuchten es allein in Hamburg. Am Ende brachte Babak M., 31, seine Mutter um. Schuldfähig ist er nicht, der Mann ist ja krank: paranoide Schizophrenie, „Zwangsscheiße“, hat er selbst einmal gesagt.

Wer aber trägt dann die Schuld am Tod der 59-Jährigen, gestorben an mehr als 30 Stichen mit einer Schere, 16 davon ins Herz? Die Psychiaterin, sagen die Strafverfolger: die Frau, die Babak nach einer kurzen Nacht aus dem Krankenhaus entließ – ohne den Patienten noch einmal anzusehen, der Stunden zuvor angekündigt hatte, seine Mutter zu töten. Und so haben sie es in die Anklage geschrieben.

Babak M. ist nicht dabei, während sie verhandeln am Lübecker Landgericht. Sie haben ihn in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen, nach seinem eigenen Prozess im Sommer. Ein Ort, wo mancher ihn schon lange hatte sehen wollen, selbst die eigene Mutter. Niemand konnte ihrem Sohn ja noch beikommen, der schon mit 14 das erste Mal in einer Klinik gelandet war, der Stimmen hörte, schlug und schrie, ängstlich und depressiv war im einen und bedrohlich im nächsten Moment. Doch mit Zwangseinweisungen tut sich Deutschland, das Land, in das der im Iran geborene Babak als Achtjähriger gekommen war, schwer.

Hätten die Ärzte M. auf der Station halten können?

Ob die Ärztin im norddeutschen Geesthacht eine Handhabe gehabt hätte, ihn auf ihrer Station zu halten, ist nun zu klären. Babak M. jedenfalls wollte gehen: zu seiner Mutter, ausgerechnet, das sagte er den Krankenschwestern, Geld und Kleidung holen, und dann wiederkommen, vielleicht. „Bestenfalls“, steht in seiner Patientenakte. Keine Einwände, soll die Ärztin am Telefon gesagt haben, also ging der 31-Jährige; eine Wegbeschreibung gaben sie ihm sogar noch mit. Es war der 2. Januar dieses Jahres, früh um sieben – wenige Stunden später lag die Mutter tot in ihrem Blut. Die Messer, zitiert später der „Spiegel“ deren Ex-Mann und Vater des Täters, habe sie versteckt – das zeige doch, „dass sie mit so etwas gerechnet hat“?

Und Babak M. hat die Tat schließlich tatsächlich angekündigt. War in einen Bus gestiegen am Neujahrsabend, hatte unterwegs den Passagieren von „Todesengeln“ erzählt, die ihm befahlen, er solle sich und seine Mutter umbringen. Mitreisende riefen die Polizei, die brachten ihn in die Psychiatrie. Auch dort soll der 31-Jährige wirr geredet haben, hielt sich die Ohren zu, stand dem Pflegepersonal zufolge unter Strom: Mehrere Tage habe er nicht geschlafen, behauptete er. Offenbar war Babak M. seit einiger Zeit obdachlos.

Nach nur dreieinhalb Stunden durfte der Patient die Klinik verlassen

Der diensthabenden Ärztin gegenüber soll er seine Tötungsfantasien zwar nicht wiederholt haben, bestätigten die Krankenschwestern nun vor Gericht. Man habe sie aber mehrfach informiert, telefonisch und persönlich. Auch schriftlich haben die Frauen die Details niedergelegt. Der neue Patient bekam ein Medikament, das er einnehmen sollte, falls er nicht schlafen könne. Als der Übermüdete dreieinhalb Stunden später aufbrechen wollte, legte ihm niemand Steine in den Weg. Das aber widerspreche der ärztlichen Kunst, heißt es nun in der Anklage, die der 54-jährigen Medizinerin fahrlässige Tötung vorwirft. Die schweigt bisher im Prozess. Ihre Verteidiger sagen, es sei Unrecht: 17 Jahre Krankengeschichte auf eine einzige Entscheidung zu reduzieren.